Intelligente Menschen zweifeln mehr

Der Zweifel ist ein grundlegender Ausgangspunkt für den Erwerb oder die Schaffung neuer Kenntnisse. Eine dogmatische Haltung ist oft kontraproduktiv.
Intelligente Menschen zweifeln mehr
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 11. Mai 2024

Die Ignoranz ist sich ihrer eigenen Unfähigkeit nie bewusst. Sie ist ein Angeber, hält sich in allem für einen Experten und überschätzt ihre Fähigkeiten maßlos – ein ignoranter Mensch ist überzeugt davon, dass er alles wüsste. Intelligente Menschen hingegen zweifeln mehr, sind unsicherer und haben eine bescheidenere Einstellung, weshalb sie dazu in der Lage sind, zu verstehen, dass wir in dieser Welt nichts für selbstverständlich halten sollten.

Bertrand Russell sagte einmal: „Das Problem ist, dass intelligente Menschen voller Zweifel und Dumme voller Selbstvertrauen sind!“  In gewisser Weise würde diese Aussage erklären, warum die engagiertesten oder intelligentesten Menschen nicht immer die erfolgreichsten sind. Ein Großteil der verantwortungsvollen und bedeutenden Positionen wird von unfähigen bzw. von den Menschen eingenommen, die eben nicht über die benötigten Fähigkeiten verfügen, die aber Führungsqualitäten besitzen.

„Die Unwissenheit erschafft mehr Vertrauen als das Wissen.“

Charles Darwin

Eine BBC-Doku mit dem Titel The problem with smart people  (zu Deutsch: Das Problem mit schlauen Menschen) gibt Aufschluss über eine interessante Tatsache: Wenn Mittelmäßigkeit in unserer Gesellschaft erfolgreich sein kann, dann aus dem Grund, weil mittelmäßige Menschen voll und ganz auf ihr begrenztes Wissen vertrauen und wissen, „wie sie es verkaufen müssen“. Ein unwissender Mensch ist wie ein Guru, wenn es darum geht, auf sich aufmerksam zu machen. In der modernen Geschäftswelt sind wir alle mehr oder weniger dazu verpflichtet, uns selbst zu verkaufen. Dazu müssen wir nur einen kurzen Blick in die Lebensläufe auf LinkedIn werfen. Sofort stoßen wir auf unzählige Profile, in denen zu lesen ist „Ich bin ein Experte in …“.

Intelligente Menschen hingegen fühlen sich nicht einmal wohl, wenn sie über sich selbst reden. Sie sehen sich nicht als Experten an, fühlen sich nicht allwissend, wie ein ignoranter Mensch, und konzentrieren sich lieber auf das, was sie noch nicht wissen, als auf das, was sie bereits sehr gut beherrschen.

Das Profil eines Menschen aus Fäden gemacht

Ignorante Menschen und der Dunning-Kruger-Effekt

Im Jahr 2012 hatte McArthur Wheeler den Coup seines Lebens geplant: Er wollte die Pittsburgh Bank ausrauben. Um dieses Ziel zu erreichen, vertraute er auf ein ganz eigenes Wundermittel, nämlich auf Zitronensaft. Als er mit seiner großen Tasche, mit der er das gesamte Geld aus dem Safe hinaustragen wollte, in der Bank ankam, ging etwas schief. Die Polizei stand direkt hinter ihm. Der junge Wheeler konnte das einfach nicht verstehen, er war wütend, ja fast empört: „Aber ich bin doch unsichtbar!“,  wiederholte er immer wieder.

Die Geschichte dieses Amerikaners ging um die ganze Welt. Wheeler war fest davon überzeugt, dass er unsichtbar wäre und ihm sein Bankraub gelingen würde, wenn er sich Zitronensaft über sein Gesicht gießen würde. Errol Morris, der Journalist, der über das Ereignis berichtete und Wheeler interviewte, kam nicht umhin, die eiserne Überzeugung des Mannes zu bewundern. Abgesehen von einer psychischen Störung, waren das, was diesen glücklosen Dieb ausmachte, seine Selbstsicherheit und sein Selbstvertrauen.

Seine Dummheit, sagte der Journalist, bewahrte ihn davor, sich seiner eigenen Dummheit bewusst zu werden. Diese kuriose Geschichte beschreibt den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Dabei handelt es sich um eine kognitive Neigung, durch die manche Menschen mit schlechten kognitiven Fähigkeiten ein Gefühl der illusorischen Überlegenheit zeigen und sich selbst für besonders intelligent halten. Darüber hinaus raubt ihre Inkompetenz ihnen ihre metakognitive Fähigkeit, zu erkennen, dass sie falsche Schlüsse ziehen und unglückliche Entscheidungen treffen.

Was können intelligente Menschen tun, wenn sie stärker zweifeln als andere?

Intelligente Menschen zweifeln stärker, sie zweifeln an allem, was sie umgibt, was ihnen widerfährt, was ihnen andere sagen und sogar an dem, was sie denken. Was auf den ersten Blick dazu führen kann, dass sie sich solideres Wissen aneignen, ist also gleichzeitig auch ein großer Nachteil. Es fällt ihnen schwerer, eine konkrete Entscheidung zu treffen. Und wenn es etwas gibt, das wir alle wissen, dann, dass wir in einer Realität leben, in der Reaktionsfähigkeit überaus wichtig ist, in der es keinen Platz für reflektiertes Denken gibt und in der wir innerhalb von wenigen Sekunden vom Hinterfragen zum Handeln übergehen müssen.

Charles Darwin selbst sprach darüber in seinem Buch Die Abstammung des Menschen . Er beschwerte sich darüber, dass seine Mitmenschen von ihm schnelle Antworten auf alle Fragen, die er in seinen Theorien gestellt hatte, verlangten. Er verteidigte sich damit, dass Wissen Zeit und Genauigkeit brauche. Die Wahrheit könne man nicht in einem oder in zwei Tagen aufdecken, manchmal würde man sogar ein ganzes Leben dafür brauchen.

Heutzutage aber, und das wissen wir sehr gut, können wir nicht ein ganzes Leben warten, um uns zu positionieren und unsere berufliche Karriere voranzutreiben. Denn in gewisser Weise kennen wir alle intelligente Menschen, die ihre Ziele noch nicht erreicht haben. Wir alle kennen sogar dramatische Fälle, in denen außergewöhnliche Menschen von eindeutig unfähigen Individuen übergangen werden.

Aus diesem Grund möchten wir uns anschauen, welche Strategien man in die Tat umsetzen oder welche Einstellung man entwickeln sollte, um mit Intelligenz voranzukommen.

Schlauer junger Mann schreibt etwas an eine Tafel

Entwicklungsstrategien für intelligente Menschen

Uns ist bekannt, dass intelligente Menschen mehr zweifeln, und deshalb stellen wir uns die Frage: Wie kann man dieses Problem lösen? Indem man nicht länger alles anzweifelt? Damit ist es nicht getan. Es geht darum, die eigene Wahrnehmungsweise zu verändern.

  • Man darf sich selbst nicht unterschätzen: Intelligente Menschen sollten sich ihrer Fähigkeiten bewusst sein und auf sie vertrauen. Oft werden andere begutachtet und in ihnen werden Fähigkeiten gesehen, die man selbst nicht besitzt (Entschlossenheit, Extravertiertheit, Charisma, soziale Offenheit etc.). Intelligente Menschen sollten das nicht tun und stattdessen lernen, sich selbst besser einzuschätzen und ihre herausragenden Fähigkeiten wertzuschätzen.
  • Entschlossenheit: Wie wir wissen, zweifeln brillante Köpfe mehr als andere und aus diesem Grund sollten sie lernen, diese verstrickte, komplexe und sogar manchmal chaotische Denkweise zu lockern und sich auf ein bestimmtes Ziel zu konzentrieren. Reflektiertes Denken sollte mit Entschlossenheit kombiniert werden.
  • Talente fließen und werden im richtigen Moment ihren Platz finden: Ab und an zeichnen sich kluge Menschen auch dadurch aus, dass sie pessimistisch sind. Sie haben das Gefühl, dass es fast unmöglich sei, einen Platz zu finden, an dem sie sich entwickeln und ihr ganzes Potenzial ausschöpfen können. Das frustriert sie, beeinträchtigt ihr Selbstwertgefühl und führt manchmal zum Konformismus. Anstatt aufzugeben, sollten sie besser aufmerksam sein. Sie sollten empfänglich für Möglichkeiten und dazu in der Lage sein, genau dann zu handeln, wenn sich ihnen eine Chance bietet.

Zusammengefasst können wir sagen, dass Beharrlichkeit und Entschlossenheit die besten Verbündeten für jene intelligente Menschen sind, die ihren eigenen Raum zur Entfaltung noch nicht gefunden haben. Wenn wir noch ein wenig Raffinesse hinzufügen, haben wir die perfekte Kombination, um über die ignorante Mittelmäßigkeit zu triumphieren, um uns gegenüber diesem Opportunismus zu behaupten, dem es an wahrem Talent fehlt.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.