Implizites Wissen: Intuition, Einsicht und Erfahrungen

Kaum jemand ist sich über sein stilles Wissen bewusst, das wir in verschiedenen Situationen anwenden. Erfahre mehr darüber!
Implizites Wissen: Intuition, Einsicht und Erfahrungen

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 29. Juni 2023

Implizites Wissen (tacit knowledge) ist schwer in Worte fassbar: Es ist das stille Wissen einer Person, das nicht schriftlich oder verbal beschrieben oder kommuniziert werden kann. Wir könnten es mit Intuition, Einsicht oder Weisheit beschreiben, mit persönlichen Erfahrungen und der subjektiven Wahrnehmung, auf die wir zurückgreifen, wenn wir unser explizites Wissen äußern.

Implizites oder stilles Wissen umfasst all jene Kenntnisse und Informationen, die wir bewusst vergessen, um sie im Unterbewusstsein zu speichern. Du erinnerst dich vielleicht nicht daran, doch trotzdem ist dieses Wissen vorhanden und drückt sich instinktiv aus.

Implizites Wissen spielt bei vielen Tätigkeiten und Berufen eine wichtige Rolle und ist auch im persönlichen Bereich von enormer Hilfe, da es für die Entscheidungsfindung und Problemlösung unerlässlich ist.

“Stillschweigendes Wissen ist wie ein unsichtbarer Funke, der die Flamme des Erfolgs entzündet.”

Peter F. Drucker

Implizites Wissen: Was ist das?

Wir nutzen stilles Wissen intuitiv und unbewusst: Es setzt sich aus kontextbezogenem und persönlichen, durch Erfahrungen erworbenen Kenntnissen und Informationen zusammen. Es ist schwer, dieses Wissen zu verbalisieren oder weiterzugeben.

Es war der Soziologe Michael Polanyi¹, der diesen Begriff in den 1960er-Jahren prägte, als er sich mit dem persönlichen Wissen beschäftigte. Er wies schon damals darauf hin, dass ein wertvoller Teil unseres Wissens aus informellen Kenntnissen und Fähigkeiten herrührt, die dem bewussten Denken vorausgehen.  Wir geben dieses Wissen durch unsere Kultur und Geschichte weiter.

Implizites Wissen ist unter anderem in der Kunst, der Musik, im Sport oder bei intuitiven Entscheidungen von unschätzbarem Wert. Alle Tätigkeiten, für die Erfahrung und persönliche Praxis notwendig sind, benötigen diese Art von Wissen: Feuerwehrleute, Polizisten, Piloten, Lehrkräfte, Psychologen… wir alle profitieren enorm von diesem Wissensschatz, der sich durch folgende Merkmale auszeichnet:

  • Kontextabhängig: Implizites Wissen hängt in hohem Maße mit dem Kontext zusammen, in dem es erworben wurde. Es ist persönlich und beruht auf individuelle Erfahrungen.
  • Automatisch und intuitiv: Es kommt nicht bewusst zur Anwendung, ist jedoch ein fester Bestandteil unserer Überzeugungen und Ideen und hilft uns, Entscheidungen zu treffen.
  • Komplementär: Sowohl implizites als auch explizites Wissen sind komplementär und unterstützen das Verständnis und die Fähigkeit, in einer Vielzahl von Situationen zu handeln.
  • Erfahrungswissen: Es entwickelt sich, wenn eine Person mit ihrer Umwelt interagiert und Übung in einem bestimmten Bereich sammelt. Stilles Wissen entsteht durch Beobachtung, Experimentieren und direktes Lernen.
  • Implizites Wissen ist schwer zu formulieren: Es ist intrinsisch, da es in persönlichen Fähigkeiten, Intuitionen und Erfahrungen verwurzelt ist.

Warum ist implizites Wissen schwer zu vermitteln?

Dieses Wissen ist schwer fassbar und subjektiv, deshalb ist es nicht in Lehrbüchern zu finden. Es ist praxisorientiert und entzieht sich allgemeinen Theorien. Den meisten fällt es deshalb schwer, intuitiv erworbene Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erkennen und zu verbalisieren. Außerdem sind diese kontextabhängig und nicht universell.

So reagieren zum Beispiel Feuerwehrleute aufgrund ihrer Erfahrungen und Beobachtungen oft intuitiv, wenn sie in gefährlichen Situationen rasche und lebensrettende Entscheidungen treffen müssen. Bei Ärzten sprechen wir von ihrem “klinischen Auge”, wenn sie trotz unklarer Symptome eine richtige Diagnose stellen.

Implizites Wissen: die verschiedenen Arten

Dieses stille Wissen kann sich auf technische Fähigkeiten beziehen, wenn wir von der Reparatur eines Autos sprechen. Es ist jedoch auch bei Prozessen und Abläufen vorhanden, wie wir unter anderem beim Radfahren beobachten können. Wir integrieren ebenso psychosoziales Wissen und wissen, wie wir uns in bestimmten Umgebungen zu verhalten haben. Manche Menschen haben ein Gespür für Business, andere für die richtige Kombination von Lebensmitteln. 

Implizites Wissen kommt in allen Lebensbereichen zum Tragen, denn es ermöglicht uns, schnell und automatisch zu reagieren. Es ist unter anderem in folgenden Situationen von Bedeutung:

  • Routinen und Gewohnheiten
  • Soziale Interaktionen
  • Intuitive Entscheidungsfindung
  • Komplexe Problemlösungen
  • Aufgaben, die Geschicklichkeit verlangen (ein Instrument, Sport, Kochen oder Autofahren)

Implizites Wissen wird explizit, wenn es in Informationen umgewandelt wird, die klar und formell ausgedrückt und kommuniziert werden können. Hierfür eignen sich Externalisierungs-, Kodifizierungs- und Dokumentationstechniken.

Intuitives Wissen hängt mit der Fähigkeit zusammen, die eigenen Emotionen und die anderer zu verstehen und zu steuern. Zum Beispiel “gute Ratschläge geben”.

Implizites Wissen und die zwischenmenschliche Kommunikation

In bestimmten Kontexten beeinflusst implizites Wissen die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis. Stelle dir folgendes Szenario vor: Wenn sich zwei Mitarbeiter unterhalten, verstehen sie sich vielleicht schnell, da sie schon seit Jahren zusammenarbeiten. Das stille Wissen ermöglicht es ihnen, die Feinheiten der Fachsprache zu verstehen, die in ihrem Unternehmen dominiert. Lange Erklärungen sind nicht nötig.

Wenn Menschen hingegen nicht über das gleiche implizite Wissen verfügen, kann es zu Missverständnissen kommen, da Annahmen, Intuitionen, Erfahrungen und praktisches Wissen nicht übereinstimmen.

Ein weiteres Szenario: Wenn eine Feuerwehrfrau lange Erfahrung hat, ein Mitarbeiter jedoch relativ neu ist, haben die beiden nicht dasselbe implizite Wissen auf ihrem Fachgebiet. Die Feuerwehrfrau erwartet sich deshalb vielleicht eine andere Reaktion oder Fähigkeit, die der Mitarbeiter noch nicht erworben hat. Das implizite Wissen wirkt sich also vielfältig auf die zwischenmenschliche Kommunikation aus. 

Fazit

Wir alle verfügen über Automatismen, die implizites Wissen möglich macht: Intuition, Einsicht und Erfahrungen helfen uns in vielen Situationen, angemessen zu reagieren und richtige Entscheidungen zu treffen.

Obwohl dieses Wissen schwer zu verbalisieren und zu erklären ist, hat es einen enormen Einfluss darauf, was wir tun und wie wir mit unserer Umgebung umgehen, sei es beruflich, sozial oder familiär. Implizites Wissen ergänzt das explizite Wissen und ist für die Entscheidungsfindung, Problemlösung, soziale Interaktionen, Routinen und Gewohnheiten entscheidend.

Wir laden dich ein, über dein stilles Wissen auf verschiedenen Gebieten nachzudenken. Oft handelt es sich um so einfache Dinge wie Radfahren, Kochen oder Schuhbinden.

▶ Lese-Tipps

  1. Implizites Wissen, Michael Polanyi, Suhrkamp 1985
  2. Das Schweigen der Könner: Gesammelte Schriften zum impliziten Wissen, Georg Hans Neuweg, Waxmann 2015

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