Ignoranz führt zu mehr Ignoranz
Tatsächlich ist jeder Mensch ignorant. Wir sind nur nicht alle im gleichen Maße ignorant, ebenso wie wir es nicht alle gleichermaßen anerkennen. Ignoranz ist ein Mangel an Wissen oder Erfahrung. Genau dieser Mangel an Wissen bringt den Ignorant dazu, vehement und misstrauisch zu sein, bis zu dem Punkt, an dem er sich selbst zum Feind derjenigen erklärt, die andere Erfahrungen gemacht und anderes Wissen angehäuft haben.
Auf der anderen Seite wissen kluge Menschen, dass ihre Tugend im Wesentlichen darin liegt, dass sie sich ihrer Ignoranz bewusst sind, wie es schon Sokrates postulierte. Dieses Bewusstsein erlaubt es ihnen, die Wirklichkeit zu erkennen, zu realisieren, wie endlich wir in dem uns umgebenden Unendlichen sind. So versöhnt es sie mit ihrer wahren Natur. Diese weisen Menschen halten sich von Rivalität fern, sodass sie selten zu Feinden werden oder gar zu Freunden, die trotz allem von Gier und übermäßigen Verlangen beeinflusst sind.
Menschen, die die Grenzen ihres eigenen Wissens ignorieren, sind von ihrer eigenen Vorstellung verblendet. So ist es unmöglich, mit ihnen vernünftig zu kommunizieren. Alles, was nicht in ihr Muster des Akzeptierbaren passt, ist ein Grund für Konflikte, die nur gelöst werden können, solange sie nicht nachgeben müssen.
Weise Menschen erstreben Weisheit; Narren denken, sie hätten sie bereits gefunden.
Ignorante Menschen denken, sie wüssten alles
Ignoranz lässt Menschen glauben, sie wüssten alles. Diese Art der Ich-weiß-alles-Persönlichkeit kann mit dem Dunning-Kruger-Effekt erklärt werden, der eine Form der fehlerhaften Selbstwahrnehmung ist. Er bezieht sich auf Personen, die tendenziell überschätzen, wie viel sie wissen. Egal, ob es dabei um die Menge an Wissen geht, die sie zu besitzen glauben, oder die Bestimmtheit, mit der sie ihre persönliche Meinung als unwiderlegbare Tatsache darstellen.
Diese Art der falschen Selbstwahrnehmung wurde 1999 von den Professoren David Dunning und Justin Kruger der Cornell University (New York, USA) erstmalig beschrieben. Beide Wissenschaftler analysierten zahlreiche Studien, die nahelegten, dass Ignoranz einem Menschen mehr Selbstbewusstsein verleiht als Wissen. Sie bezogen sich dabei aufs Autofahren, Schachspielen und körperliche Leistungsfähigkeit: Derjenige, der glaubt, besonders gut fahren zu können, pflegt oft einen gefährlichen Fahrstil. Der, der sich seiner Grenzen bewusst ist, fährt vorsichtig.
Unsere eigene Ignoranz zu ignorieren ist der Ursprung vieler Meinungsverschiedenheiten. Menschen machen sich nicht ohne Grund Feinde. Eine Ursache dafür mag sein, dass sich jemand angegriffen oder diskreditiert fühlt, wenn jemand ihren Glauben an die eigene Allmächtigkeit zu erschüttern droht.
„Was ist Tod?“
„Der wahre Tod ist Ignoranz.“
Wie viele Tote weilen unter uns!
Deine eigene Ignoranz anerkennen schenkt dir Neugier
Ein Teil der Weisheit ist es, zu wissen, was du nicht weißt; die Tür zu öffnen und die Motivation zu finden, mehr zu lernen. In diesem Sinne geht Bescheidenheit Hand in Hand mit Weisheit. Wir sollten uns weniger dafür schämen, unsere Ignoranz zuzugeben, sodass wir mehr Chancen nutzen können, um zu lernen. Kinder können das sehr gut. Sie fragen immer, was was ist, was der Zweck von Dingen und Taten ist und wie die Welt funktioniert.
Die meisten Leute verstehen nicht, wie der menschliche Körper funktioniert und wissen nur wenig über die komplizierten biologischen und chemischen Prozesse, die in ihm ablaufen, aber verurteilen Leute, die dies öffentlich zugeben. In Fällen wie diesen offenbart sich die Ignoranz der eigenen Ignoranz. Das passiert, wenn jemand um keinen Preis der Welt unwissend erscheinen will – als ob das das Schlimmste wäre, was ihm passieren könnte.
Deine eigne Ignoranz anerkennen ist der Schlüssel zu Wissen und Weisheit. Es erlaubt dir, die Formbarkeit des menschlichen Wesens zu verstehen. Darum sei nicht beleidigt, wenn dich das nächste Mal jemand als ignorant bezeichnet. Danke ihm stattdessen dafür, dich daran erinnert zu haben und ermutige ihn, dir mehr beizubringen oder lade ihn dazu ein, mit dir zu lernen.
Die meisten Menschen sprechen zu viel und wissen zu wenig. Wenn du aus der naiven Mehrheit herausstechen möchtest, kultiviere dein Wissen und nutze die Momente der Stille, sodass du zuhören kannst und die Neugier einlädst.