Distanz schaffen, um neue Sichtweisen zu entdecken
Manchmal müssen wir Distanz schaffen, aber nicht, um uns von allem und jedem zu distanzieren. Wir tun das, um uns selbst aus einer anderen Perspektive zu betrachten, um uns von diesem abgenutzten Ich zu lösen, das von der Teilnahmslosigkeit in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wir müssen uns neuen Aufschwung geben und die in dieser Leere oder Distanz verborgenen Kräfte mobilisieren, die wieder neu geweckt und in die richtige Richtung gelenkt werden wollen.
„Ich fühle mich so isoliert, dass ich die Distanz zwischen mir und meiner Gegenwart spüren kann.“
Fernando Pessoa
Um diesen Gedanken zu verstehen, denken wir nun an etwas sehr Simples, das wir jeden Tag tun: Wir schauen nach oben und richten unseren Blick auf einen ganz bestimmten Punkt am Himmel, im Stadtpanorama oder in einem Park. Wir schauen in weite Ferne. Experten für Ergonomie am Arbeitsplatz erinnern uns diesbezüglich daran, dass wir zum Beispiel alle 15-20 Minuten unseren Blick von unserem Computer abwenden und über den Monitor hinausschauen sollen. Diese visuelle Distanz entspannt uns.
In einem bestimmten Moment Distanz zu uns selbst zu schaffen, erzeugt darüber hinaus mentales und emotionales Wohlbefinden. Wir müssen dazu nicht nach Tibet reisen, müssen nicht eine Woche lang in Stille verbringen, um neue Sichtweisen zu entdecken, um uns von unserem Ich zu lösen und ein Gespräch mit ihm führen zu können. Doch wie können wir uns von uns selbst distanzieren? Egal, wohin wir gehen, unsere Gedanken, unser Wesen und das Gewicht unserer Existenz werden immer da sein, wie erdrückendes Übergepäck, wie ohrenbetäubender Lärm, der uns daran hindert, klar zu denken …
Distanz schaffen, um wieder zu uns selbst zu finden
Für manche Menschen bedeutet Distanz zu schaffen, in den Urlaub zu fahren. Sie glauben, dass ihre Probleme nach einer Woche in einem Spa oder ein paar Tagen am Strand eines türkisfarbenen Meeres nicht mehr so bedeutend und kleiner erscheinen würden. Oftmals fliehen wir in diesen kleinen Ruhephasen aber nur vor einem Problem, das sich sicher nicht auflöst, indem wir auf Pause drücken und an einem paradiesischen Ort abtauchen, an dem wir nicht nachdenken müssen.
Distanz zu schaffen, bedeutet nicht, zu fliehen oder Kilometer weit weg von dem zu reisen, was uns missfällt und unserer Ruhe beraubt, wenn wir letztendlich doch wieder an den Punkt zurückkehren, der der Ausgangspunkt unserer Flucht war. Lao-Tse pflegte zu sagen, dass es im Grunde genommen keine größere Distanz als die gebe, die wir selbst zwischen unserem Kopf und unserem Herzen schaffen. Das heißt, zwischen dem, was uns unser Verstand unbedingt glauben lassen möchte, und dem, worum unser Herz uns bittet.
Oftmals halten wir an Situationen fest, die uns die Möglichkeit nehmen, glücklich zu sein und uns persönlich keineswegs bereichern. Eine Arbeitsstelle, eine Beziehung, ein familiäres Umfeld – all das sind Kontexte, in denen wir feststecken und einer negativen Dynamik verfallen können. Wir haben dann so viel Distanz zwischen uns selbst und unseren eigentlichen Bedürfnissen aufgebaut, dass das, was wir schnellstmöglich brauchen, keine Reise oder eine momentane Ausflucht ist. Wir müssen stattdessen wieder zu uns selbst finden.
Wir müssen lernen, uns aus einer anderen Perspektive zu betrachten
Wir müssen lernen, Distanz zu schaffen, um wieder zu uns selbst zu finden, um das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Victor Frankl, Vater der Logotherapie und Überlebender mehrerer deutscher Konzentrationslager, erklärt uns genau das in seinem Buch Ärztliche Seelsorge: Hin und wieder müssen wir uns von dem lösen, was uns umgibt, um unsere Vorstellung von Freiheit, unser Potenzial und gleichzeitig unsere Vorhaben neu zu überdenken.
Die meiste Zeit sind wir Gefangene unserer eigenen Gedanken. Wir können uns das wie ein fensterloses Gefängnis, eine feindselige Umgebung, vorstellen, in der wir nur sehr schwierig erahnen können, was sich außerhalb befindet. Um uns leichter zu lösen, müssen wir in Kontakt mit unseren Gefühlen treten, um einen ausreichenden Anreiz zu finden, eine Veränderung zu erzeugen.
Nachfolgend möchten wir dir einige Schritte aufzeigen, damit es dir gelingt, dich persönlich zu distanzieren, um mehr Klarheit in dein Inneres zu bringen.
Wir müssen Distanz zu uns selbst schaffen, um Entscheidungen treffen zu können
Eine Haltung einzunehmen, bei der wir uns selbst beobachten, ist eine therapeutische Strategie, die sehr nützlich für uns sein kann. Es geht darum, ein paar Schritte nach oben zu gehen und von oben auf eine liebevolle, warme und gütige Art und Weise auf uns selbst hinunterzuschauen. Es ist wie ein Spiel, bei dem wir zu unseren eigenen Beobachtern werden, um darüber nachzudenken, an welchem Punkt in unserem Leben wir uns befinden und was wir damit anfangen wollen.
- Klettere auf den Balkon deines Bewusstseins, um dich von oben mit Distanz zu betrachten. Bewerte das, was du von dort siehst, und frage dich, ob du dich in einem Jahr immer noch so sehen willst.
- Denke über deine Glaubenssätze und deine Vorurteile nach, ohne die klassischen Abwehrmechanismen des Egos, ohne diese Überzeugungen, die uns andere eingebläut haben und die uns in gewisser Weise seit geraumer Zeit einschränken.
- Überdenke deine Denkweise und filtere alles Negative, um herauszufinden, ob deine Haltung, mit der du deine Realität wahrnimmst, sich durch konstantes Unbehagen auszeichnet, durch Hoffnungslosigkeit, schlechte Laune und Teilnahmslosigkeit.
Wenn uns das, was wir aus dieser Entfernung sehen, nicht gefällt, wenn wir nur den Lärm aus Negativität und Unbehagen wahrnehmen, wird es Zeit, über Veränderungen nachzudenken. Diese Veränderungen müssen nur auf unsere Vorhaben abgestimmt werden. Wie Viktor Frankl uns sagte, müssen wir dazu in der Lage sein, den Sinn in unserer Existenz zu finden und diese an unser Ziel anpassen.
Daher sollten wir nicht zögern, uns von Zeit zu Zeit von allem, was uns umgibt, zu distanzieren, um neue Sichtweisen zu entdecken, um uns daran zu erinnern, wer wir sind und was uns motiviert.