Das Prägnanzprinzip in der Gestaltpsychologie

Das Prägnanzprinzip ist ein zentrales Konzept der Gestaltpsychologie, bei dem Einfachheit über Komplexität gestellt wird. Dieses Prinzip hilft uns, komplexe Informationen effizient zu verarbeiten und eine klare, kohärente Sicht auf die Welt zu bewahren.
Das Prägnanzprinzip in der Gestaltpsychologie
José Padilla

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen José Padilla.

Letzte Aktualisierung: 11. Juli 2024

Das Prägnanzprinzip ist ein zentrales Konzept der Gestaltpsychologie, das erklärt, wie der menschliche Verstand Wahrnehmungen ordnet und organisiert. Es unterstreicht die Gruppiernung von Elementen, um eine klare, einfache und sinnvolle Struktur zu erhalten: Das Gehirn transformiert komplexe Informationen in sinnvolle und verständliche Muster und Formen.

Das Prägnanzprinzip erklärt, warum wir dazu tendieren, Dinge als Ganzes zu sehen, anstatt sie in isolierte Teile zu zerlegen, und wie wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, um eine klare und eindeutige Wahrnehmung zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Gestaltpsychologie deutlich, die die menschliche Wahrnehmung und Kognition als aktiven Prozess der Organisation und Interpretation von Sinneseindrücken betrachtet.

Die Grundlagen der Gestaltpsychologie

Die Gestaltpsychologie wurde von Max Wertheimer, Kurt Koffka und Wolfgang Köhler als deutsche experimentelle und theoretische Schule gegründet, die das Ziel verfolgte, zu verstehen, wie der Verstand Wahrnehmungen organisiert und interpretiert. Diese Theorie erlebte ihre Blütezeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und stellte eine radikale Abkehr vom strukturellen Ansatz Wilhelm Wundts dar, der die Wahrnehmung als Summe isolierter Sinnesempfindungen betrachtete.

Im Gegensatz dazu postuliert die Gestalttheorie, dass die Wahrnehmung ein geordnetes Ganzes ist, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Ein anschauliches Beispiel ist die Wahrnehmung eines Gesichts: Während ein Strukturalist wie Wundt die einzelnen Teile (Augen, Mund usw.) zuerst wahrnimmt, sieht die Gestalttheorie das Gesicht als eine zusammenhängende und sinnvolle Einheit, die vor der Wahrnehmung ihrer Bestandteile betrachtet wird. Diese Perspektive betont die Verarbeitung von vollständigen, kompakten Gestalten statt isolierter Fragmente.

Die Gestaltgesetze der Wahrnehmungsorganisation

Das Interesse am “Ganzen” motivierte die Gestaltpsychologen dazu, Prinzipien zu formulieren, die die Wahrnehmungsorganisation erklären. Ihre theoretischen und praktischen Entwicklungen führten zu den berühmten Gesetzen der Wahrnehmungsorganisation, die Regeln erklären, wie Menschen kleine Teile zu einem kohärenten Ganzen organisieren. Schauen wir uns einige der bekanntesten Gesetze an:

  • Gesetz der Ähnlichkeit: Dinge, die ähnlich sind, werden als zusammengehörig wahrgenommen.
  • Gesetz der Fortsetzung: Formen und Muster werden so wahrgenommen, dass sie kontinuierlich erscheinen.
  • Gesetz der Nähe: Dinge, die nahe beieinander liegen, werden als zusammengehörig wahrgenommen.
  • Gesetz des gemeinsamen Schicksals: Teile eines Ganzen, die sich in dieselbe Richtung bewegen, werden als zusammengehörig wahrgenommen.
  • Gesetz der Vertrautheit: Dinge, die vertraut oder bedeutungsvoll sind, werden als zusammengehörig wahrgenommen.
  • Gesetz der verbundenen Elemente: Teile, die miteinander verbunden sind, werden als eine Einheit wahrgenommen.
  • Gesetz der Gleichzeitigkeit: Ereignisse, die zur gleichen Zeit geschehen, werden zusammen wahrgenommen.
  • Gesetz der gemeinsamen Region: Komponenten, die denselben Raum teilen, werden als zusammengehörig wahrgenommen.

Obwohl die Gestalttheoretiker den Begriff “Gesetze” verwenden, um die Organisation von Wahrnehmungen zu beschreiben, ziehen es die meisten Wahrnehmungsforscher und Psychologen vor, sie als Prinzipien zu bezeichnen. Manche sprechen auch von Heuristiken, da sie nicht immer, sondern nur unter bestimmten Umständen oder bei bestimmten Problemen anwendbar sind.

Das Prägnanzprinzip

Das Gesetz der Prägnanz oder der guten Gestalt bezieht sich darauf, dass wir bevorzugt jene Gestalten wahrnehmen, die einprägsam (prägnant) sind und einfache Strukturen (gute Gestalt) aufweisen. Bruce Goldstein weist darauf hin, dass demzufolge jeder Satz von Reizen so wahrgenommen wird, dass die daraus entstehende Struktur die einfachste ist. Dies ist die grundlegendste Regel der Gestaltpsychologie.

Das Prägnanzprinzip - Beispiel

Dieses Prinzip spiegelt perfekt wider, wie ressourcenschonend der Verstand ist. Schau dir dieses Bild aus Goldsteins Buch an: Abbildung A ist für den menschlichen Verstand leichter zu verarbeiten, weil sie einfacher ist. Wenn wir die olympischen Ringe sehen, neigen wir dazu, die Form von Abbildung (A) wahrzunehmen, weil sie die einfachste mögliche Struktur ist. Obwohl Figur (B) eine mögliche Option ist, nimmt unser Verstand sie in der Regel nicht wahr, weil sie komplexer ist.

Das Prägnanzprinzip - Beispiel

Schauen wir uns eine weitere Goldstein-Illustration an, die das Prägnanzprinzip veranschaulicht: Dieses Bild ist ein Beispiel für die Umdeutung in Richtung des Einfachsten: Zwischen so vielen schwarzen und weißen Punkten ordnet unser Verstand diese Elemente und erzeugt das einfache Bild eines Dalmatiners, der den Boden beschnüffelt.

Inmitten der Komplexität oder Mehrdeutigkeit dieser Punkte interpretiert das Gehirn die Szene auf die einfachste und vertrauteste Weise.

Das Prägnanzprinzip - Beispiel

Hier sehen wir ein weiteres Beispiel für das Prägnanzprinzip: Anstatt vierundzwanzig verschiedene, im Raum verteilte Elemente wahrzunehmen, sehen wir einen Würfel oder ein Hexaeder, weil das die einfachste Darstellung ist.

Das Prägnanzprinzip und seine Merkmale

Aus den vorgestellten Beispielen und Erklärungen können wir einige herausragende Eigenschaften des Prägnanzprinzips ableiten. Schauen wir uns vier seiner wesentlichen Merkmale an.

1. Einfachheit

Wie bereits erwähnt, zeichnet sich das Prägnanzprinzip durch seine Einfachheit in der Organisation der Wahrnehmungen aus. Wir sehen immer die einfachste Version unter allen Möglichkeiten. Es ist die wahrnehmungsbezogene Anwendung von Ockhams Rasiermesser oder dem Prinzip der Sparsamkeit, das besagt, dass die einfachste Erklärung die wahrscheinlichste ist.

2. Kohärenz

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass die endgültige Darstellung nicht nur einfach, sondern auch kohärent ist. Sie hat eine eindeutige Ordnung und Struktur, die die Gruppierung der Elemente des Ganzen widerspiegelt. Daher haben die Figuren und Muster, die nach diesem Gesetz wahrgenommen werden, eine sichtbare Bedeutung und einen Sinn.

3. Gleichgewicht

Zwischen Einfachheit und Kohärenz ermöglicht uns das Gesetz auch, symmetrische und proportionale Formen wahrzunehmen. Diese Eigenschaften verleihen den Figuren und Mustern eine größere Regelmäßigkeit, was ihre Wahrnehmung erleichtert.

4. Wahrnehmungsökonomie

Das Prägnanzprinzip fördert eine effiziente Nutzung kognitiver Ressourcen. Der Verstand kann dadurch eine funktionale Leistung erbringen, ohne viel Energie zu verbrauchen oder große kognitive Anstrengungen zu investieren. Diese Eigenschaft macht es zu einem der bevorzugten Prinzipien der Wahrnehmungsorganisation des Gehirns.

Das Prägnanzprinzip und seine Anwendung

In der Welt des Marketings wird das Prägnanzprinzip genutzt, um überzeugende Werbung zu erstellen, die in der Lage ist, die Entscheidungen von Konsumenten zu beeinflussen. Durch Einfachheit, gute Kontinuität und Ordnung verbessert es die Wahrnehmung von Reizen. Hier sind einige Beispiele:

  • Erstellung von Logos: Ein gutes Logo sorgt dafür, dass ein Unternehmen oder eine Marke bei den Verbrauchern bekannt und vertraut wird. Um dies zu erreichen, nutzen Designer neben anderen Gesetzen und Prinzipien das Prägnanzprinzip, da es ihnen ermöglicht, eine Idee in ein einfaches, einprägsames und aussagekräftiges Bild zu verwandeln.
  • User Experience Design (UX): Durch das Prägnanzprinzip können einfache und benutzerfreundliche Schnittstellen geschaffen werden. Die Verringerung der Komplexität der Navigation ist zweifellos ein wichtiger Faktor, der dazu führt, dass eine Person auf einer Website bleibt und die gewünschten Aktionen ausführt.
  • Straßenschilder: Straßenschilder sollten klar und einfach sein, um die Sichtbarkeit und das Verständnis für Autofahrer zu erleichtern. Aufgrund seiner Eigenschaften hat das Prägnanzprinzip eine wichtige Anwendungsnische in der Gestaltung von Verkehrszeichen gefunden, da es hilft, Informationen schnell und effektiv zu vermitteln.

Einfachheit steht höher im Kurs als Komplexität

Das Prägnanzprinzip ist ein zentrales Konzept der Gestaltpsychologie, bei dem Einfachheit über Komplexität gestellt wird. Dieses Prinzip hilft uns, komplexe Informationen effizient zu verarbeiten und eine klare, kohärente Sicht auf die Welt zu bewahren.

Die Anwendung des Prägnanzprinzips geht weit über die theoretische Psychologie hinaus und findet sich in Bereichen wie Marketing, Design und Benutzererfahrung. Indem Unternehmen und Designer dieses Prinzip nutzen, können sie visuelle Inhalte erstellen, die intuitiv und ansprechend sind, und so die Kommunikation mit ihrem Publikum verbessern. Das Verständnis und die Anwendung des Prägnanzprinzips tragen somit wesentlich dazu bei, wie wir Informationen wahrnehmen, interpretieren und darauf reagieren.


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