Das Kleine-Kaiser-Syndrom - oder das Kind als Tyrann

Tyrannische Kinder sind in unserer Gesellschaft immer häufiger anzutreffen. Die Lockerung der Sitten und der Verlust der Autorität von Eltern, Lehrern und anderen Personen bedeutet, dass es immer schwieriger wird, jungen Menschen Grenzen zu setzen.
Das Kleine-Kaiser-Syndrom - oder das Kind als Tyrann
María Vélez

Geschrieben und geprüft von der Psychologin María Vélez.

Letzte Aktualisierung: 09. September 2024

Immer häufiger beobachtet man kleine Kinder dabei, wie sie ihre Eltern oder andere Autoritätspersonen herausfordern, sich ihnen widersetzen und sich über sie lustig machen. Besorgniserregend daran ist, dass dieses Verhalten zu einem Extrem zu eskalieren scheint: Eltern, die von ihren Kindern misshandelt werden. Wir sprechen hier über das Kleine-Kaiser-Syndrom, den Kindertyrannen.

Es kommt zunehmend häufiger vor, dass wir sehen, wie Kinder ihre Eltern schlagen, sie beleidigen oder sonst unangemessene Strategien verfolgen, um das zu bekommen, was sie wollen. Auffällig ist, dass der Erwachsene sich umso mehr bemüht, das Kind zu besänftigen, je mehr tyrannische Verhaltensweisen es zeigt. Ein Erwachsener, der mit den Wünschen seines Nachwuchses überfordert ist, fühlt sich am Ende schuldig, sollte er sie nicht erfüllen können.

Um die Merkmale des Kleine-Kaiser-Syndroms herauszustellen, spreche ich zunächst von einer wahren Begebenheit, die ich im letzten Sommerurlaub erlebt habe. Schauen wir gemeinsam zurück:

Die Situation: Der kleine Kaiser will nicht essen

Eine Familie – Vater, Mutter und ein etwas fünfjähriges Kind – essen in einem Restaurant, mit jeder Menge Leute um sie herum. Die Mutter, schwitzend, versucht, ihren Sohn zu füttern. Essen – ja, das ist etwas, das er bereits kann, aber gerade verweigert, zu tun. Der Kern der Sache ist nicht, dass das Kind nicht essen möchte, sondern vielmehr, dass es gerade eben nur von der Cola seiner Mutter trinken möchte. Das Kind will das Glas nicht loslassen, obwohl sie schon bis drei gezählt hat.

Bockiges Kind beim Essen

Dann entscheidet die Mutter, mit dem Kind zu verhandeln, und sagt: „Du kannst Cola trinken, wenn du dein Essen isst.“  Das schlechte Verhalten des Kindes und seine abfälligen Kommentare gegenüber der Mutter nehmen danach weiter zu. Da hört man: „Ich werde dieses eklige Fleisch nicht essen, nur, weil du es mir sagst! Und i ch habe dir schon gesagt, dass ich es nicht essen werde. Verstehst du mich nicht, wenn ich mit dir rede?“

Unterdessen ist der Vater nur der Beobachter eines Konflikts, dem er mit einem apathischen Ausdruck in seinem Gesicht beiwohnt.

Nach dem Kampf um das Glas Cola findet die Mutter keinen Weg, ihren Sohn zu besänftigen, und gibt auf. Am Ende trinkt das Kind die Cola aus, während es seine Mutter weiter ärgert, indem es sie unter dem Tisch tritt. Das Tüpfelchen auf dem i ist dann die Drohung seitens der Mutter, dass sie heute sicher nicht mehr zum Pool gehen werden – die das Kind natürlich nicht ernst nimmt.

An diesem Punkt hat der kleine Kaiser bereits genug Ressourcen gesammelt, um in dieser Art von Situation zu gewinnen. In Zukunft weiß er, dass er nur ein bisschen härter um das Glas Cola kämpfen muss, wenn er es haben will. Und den Pool wird er ähnlich erreichen.

Merkmale des Kleine-Kaiser-Syndroms

Wo liegt die Wurzel des Problems? In der gerade beschriebenen Situation finden sich mehrere Punkte, die wir dem Kleiner-Kaiser-Syndrom und dem Kindertyrannen zuschreiben können:

  • Übersteigerte Wahrnehmung dessen, was ihm gehört. Das Kind fragt nicht, es verlangt. Es ist mit nichts zufrieden. Wenn es bekommt, was es will, möchte es noch mehr.
  • Geringe Toleranz gegenüber Frustration, Langeweile oder Verweigerung dessen, was es verlangt hat. In diesen Fällen reagiert es mit Trotz, Wut, Beleidigungen oder Gewalt gegenüber Familie und Freunden. Egal, ob in der Öffentlichkeit oder nicht.
  • Die Fähigkeit des Kindes, Probleme zu lösen, ist nur gering entwickelt. Es ist daran gewöhnt, dass andere Probleme für es lösen.
  • Seine Egozentrik macht ihn glauben, dass sich die Welt um es drehe.
  • Es findet stets Rechtfertigungen für sein Verhalten und macht andere für das verantwortlich, was es getan hat.
  • Es versetzt sich nicht in andere hinein. Darum fühlt es sich nicht schuldig, wenn es schreit, beschimpft oder physisch angreift, und damit verletzt.
  • Es diskutiert mit seinen Eltern über Regeln und Strafen , die es als unangemessen oder unfair bezeichnet. Dieser Aspekt kommt ihm zugute, denn seine Eltern fühlen sich dadurch schlecht und geben nach, um ihm mehr Privilegien einzuräumen.
  • Es reagiert nicht angemessen auf Autoritätspersonen und soziale Normen.
  • Das Kind hat ein geringes Selbstwertgefühl, aber dieses Problem wird durch das tyrannische Verhalten überspielt.
  • Meistens ist es traurig, ängstlich oder wütend.
Schreiendes Kind

Wie entwickelt sich das Kleine-Kaiser-Syndrom?

Wie bereits erwähnt, begegnen wir immer häufiger Kindern wie diesem. Aber warum nimmt dieses Phänomen zu? Zusätzlich zu genetischer Veranlagung scheint es, dass hauptsächlich zwei Dinge für seine Entstehung verantwortlich seien: ein nachgiebiger Erziehungsstil und der Einfluss der Gesellschaft.

  • Gibt es keine klaren Grenzen, glauben Kinder fälschlicherweise, dass sie das Recht hätten, zu tun, was immer sie wollen. Innerhalb diesen Glaubens sind sie sich nicht bewusst, dass Belohnungen zunächst Anstrengung verlangen und sie andere respektieren müssen.
  • Auf der anderen Seite können wir weder den Einfluss der individualistischen Konsumgesellschaft, in der wir leben, ignorieren, noch den straffen Arbeitsalltag, den die meisten Eltern haben. Dies beeinflusst die Qualität der Zeit, die mit den Kindern verbracht wird.
Kind hat einen Wuntanfall

Ein gesundes Kind braucht klare Grenzen

Wenn wir all diese Faktoren zusammen betrachten, kommen wir zu dem Schluss, dass Kinder sich daran gewöhnen, Dinge nicht wertzuschätzen und ihre unmittelbaren Wünsche über alles andere zu stellen. Als Konsequenz sind Eltern am Ende frustriert: Was auch immer sie tun, das Kind wird am Ende nicht zufrieden sein.

Um starke, emotional gesunde und intelligente Kinder aufzuziehen, müssen wir von Beginn an klare Grenzen setzen. Es ist essenziell, dass das Kind zu einem gewissen Grade Frustration erfährt, sodass es versteht, dass das Leben Anstrengung und Respekt gegenüber anderen verlangt.

Das Leben um das Kind kreisen zu lassen, tut ihm keinen Gefallen, denn ein Kind, was Frustration nicht erfahren hat, ist ein Kind mit einer geringen Frustrationstoleranz. In der Zukunft wird es Probleme dabei haben, mit Konflikten umzugehen und Probleme zu lösen, denn es wird erkennen, dass sich die Welt nicht seinem Willen unterwirft. Niemals wird alles wird genau so sein, wie das Kind es will.


Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Garrido, V. (2005). Los hijos tiranos. El síndrome del emperador. Ariel, Barcelona.
  • Pereira, R., & Bertino, L. (2009). Una comprensión ecológica de la violencia filio-parental. Violencia familiar226.
  • Urra, J. (2012). El pequeño dictador. Grupo Ilhsa SA.

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.