Charles Dickens und der heilsame Umgang mit Trauer und Verlust
Charles Dickens zählt zu den Klassikern der Literaturgeschichte. In seinen literarischen Werken schuf er erstaunliche Figuren und beschrieb die komplexe Welt der menschlichen Emotionen: Liebe, Hass, Melancholie, Traurigkeit, Sehnsucht, Enttäuschung oder Einsamkeit. In seinem Roman Große Erwartungen¹ lernen wir beispielsweise den kleinen Pip kennen, ein schüchternes Waisenkind, dem eine unbekannter Wohltäter eine vornehme Erziehung zukommen lässt. Dickens verarbeitet darin seine eigenen Kindheitserlebnisse, thematisiert das erbärmliche Leben in der Viktorianischen Zeit und beschreibt eine komplexe Gefühlswelt, die uns auch heute noch fasziniert.
In diesem Roman begegnen wir auch Miss Havisham, die an ihrem Hochzeitstag von ihrem Bräutigam verlassen wird. Sie weigert sich, ihr Kleid abzulegen und lebt in einem Haus, das in diesem tragischen Moment eingefroren ist. Dickens war ein sehr effektiver Schriftsteller, der die Tiefen des Leidens in all seinen Formen auslotete. Diese Fähigkeit bewies er nicht nur in seinen Büchern, sondern auch im wahren Leben.
“Gibt es eine bessere Form mit dem Leben fertig zu werden, als mit Liebe und Humor?”
Charles Dicksens
Charles Dickens: der heilsame Umgang mit Trauer und Verlust
1862 verlor Letitia Austen ihren Mann Henry Austen, einen bekannten Künstler und Architekten, mit dem sie 25 Jahre lang zusammengelebt hatte. Diese Frau war die jüngere Schwester des Schriftstellers Charles Dickens. Sie konnte ihren Kummer nicht überwinden, deshalb schreib ihr Charles Dickens einen Brief, um sie zu trösten. Mit diesem Brief gab er ihr auch Strategien zur Hand, die aus psychologischer Sicht sehr interessant sind. Der englische Schriftsteller war ein Mann von großer Weisheit und Sensibilität, was nicht nur in seinen Romanen, sondern auch in seinen Briefen deutlich wird, die in The Letters of Charles Dickens²zusammengefasst sind.
“Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten, es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Torheit, es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens, es war die Zeit des Lichts, es war die Zeit der Dunkelheit, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung.”
Charles Dickens
Glaube und Hoffnung, die inneren Lichter
Charles Dickens rät, den Blick nach innen zu richten, um den Schmerz des Verlustes zu heilen. Wir müssen uns in unserem vertrauten Raum an das klammern, was unserem Leben Sinn gibt. Die beiden Dimensionen, die den Menschen seit jeher Trost spenden, sind Glaube und Hoffnung. Sie sprechen die Sprache des Herzens und geben uns Halt und Sicherheit, wenn die unsere Welt auseinanderfällt. Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine Erfahrung, auf die niemand vorbereitet ist, die wir jedoch alle machen. Wir müssen weitermachen, auch wenn der Schmerz unendlich groß ist.
Die Hoffnung zeigt uns, dass es trotz Leid und Kummer Gründe gibt, die unser Leben lebenswert machen. Glaube, Spiritualität oder Religion sind Werkzeuge, die Traurigkeit, Sinnlosigkeit und Angst abschwächen.
Anstrengung und Gewohnheiten, die äußeren Leitfäden
Der Autor von Oliver Twist und David Copperfield erinnert seine Schwester daran, dass das Leben weitergeht und der Schmerz nachlassen wird. Er kommentiert mit subtiler Eleganz und Einfühlungsvermögen, dass sich das raue Meer der Verwirrung beruhigen wird. Charles Dickens weist darauf hin, dass dies nur durch Anstrengung möglich ist. Seine Worte an seine Schwester sind von großer therapeutischer Bedeutung. Er rät ihr unter nderem, ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen (irrationale Ideen vermeiden, nicht in absolute Verzweiflung verfallen usw.).
Außerdem empfiehlt er ihr, ihre Gewohnheiten zu verbessern: die Tage zu organisieren, neue Beschäftigungen zu suchen, aufzustehen, Dinge zu tun, die ihren Geist ablenken…. All das wird dafür sorgen, dass die dunklen Gefühle dem Licht und der Hoffnung weichen.
“Niemand ist nutzlos in dieser Welt, der einem anderen die Bürde leichter macht.”
Charles Dickens
Das Ziel: eine ruhigere Gemütsverfassung
“Der aufgewühlte Geist und die aufgewühlten Gefühle werden, wie die raue See, selten ohne eine dazwischenliegende Zeit der Verwirrung und des Ärgers beruhigt”. Dickens zögert nicht, seine Schwester vor einer offensichtlichen Realität zu warnen. Die Trauer über einen Verlust zu überwinden, ist kein leichter Weg. Wir müssen durch eine raue See navigieren, in der schwierige Zeiten warten.
Der Brief von Charles Dickens zeichnet sich durch Wahrheit, Sensibilität und Ehrlichkeit aus. Er enthält keine leeren Worte, keine oberflächliche und inkonsequente Ermutigung wie jemand, der uns auf die Schulter klopft und uns einredet, dass “alles vorübergehen wird”. Charles Dickens erinnert uns daran, dass wir durch Höhen und Tiefen müssen, um das emotionale Chaos zu überwinden. Am Ende erwartet uns jedoch ein ruhigerer Gemütszustand. Der Schriftsteller spricht nicht von Glück oder Wohlbefinden.
Trauer zu überwinden bedeutet, vom Sturm zur Stabilität zu gelangen, von der Dunkelheit zu einer neuen, heiteren Morgendämmerung. Die weisen Worte des englischen Schriftstellers spenden auch heute noch Trost. Charles Dickens schreibt mit großem Einfühlungsvermögen über das Leben, die Liebe und das menschliche Leid und zählt deshalb zu den großen Meistern der Literatur.
Literaturempfehlung
- Große Erwartungen, Charles Dickens, Anaconda 2020
- The Letters of Charles Dickens, Charles Dickens, CreateSpace 2015
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Colledge, Gary (2012), God and Charles Dickens: Recovering the Christian Voice of a Classic Author. Baker Books.
- Ledger, Sally y Holly Furneaux, (2011), Charles Dickens in Context, Cambridge University Press. p. 318.
- The Letters Of Charles Dickens, 2012. New Publisher
- Walder, Denis (1981). Dickens and Religion. London: Allen.