Blindheit für Veränderungen überwinden: Du überschätzt deine Sehfähigkeit
Es geschehen ständig Veränderungen um dich herum. Diese Modifikationen deiner Welt sind zumindest in Teilen relevant, aber scheinbar nicht wahrnehmbar. Tatsächlich erkennst du oft nicht, dass sie stattfinden. Aus diesem Grund wird häufig behauptet, dass Menschen an Verblendung oder auch Blindheit für Veränderungen leiden. Als Mensch setzt du zu viel Vertrauen in deine Fähigkeit, sichtbare Veränderungen als solche zu erkennen. Doch machst du das wirklich?
Die eigene Blindheit zu überwinden ist ein Thema, für das sich schon einige Psychologen interessiert haben, insbesondere aufgrund ihrer Auswirkungen auf so wichtige Bereiche des Lebens wie soziales Umfeld und Beruf.
Geschwindigkeit und Perspektive
Der Psychologe Ronald Rensink definierte als erster die Unfähigkeit, sichtbare Veränderungen als solche wahrzunehmen. Im Jahr 1997 stellte er fest, dass sich dieses Phänomen in Abhängigkeit davon zu beobachten ist, ob die Modifikationen allmählich oder abrupt eingeführt wurden. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass der Effekt größer sei, wenn Änderungen während eines Schnittes oder einer Panoramaaufnahme vorgenommen werden. Um das für dich selbst zu sehen, schau dir den Moderator im folgenden Video einmal ganz genau an.
Es ist unglaublich, nicht wahr? Hättest du den Unterschied bemerkt? Die Probanden im Video haben es offenbar nicht getan. Doch bei diesem Video wusstest du schon vorher, das etwas passieren würde. Stell dir nun einmal vor, du schaust einen Film. Genauer gesagt, du siehst eine Szene, in der ein Kunde mit einem Mitarbeiter hinter der Verkaufstheke spricht. Wenn der Verkäufer sich unvermittelt bückt, um etwas aufzuheben, und während dieses Moments durch einen anderen Schauspieler ausgewechselt wird, wirst du diese gravierende Änderung wahrscheinlich gar nicht bemerken. Wie ist das möglich? Warum bemerkst du einen so großen Unterschied nicht?
Warum erleben wir diese Blindheit für Veränderungen?
Eine der Erklärungen für die Blindheit für Veränderungen ist, dass dein Geist auf natürliche Weise wandert. Du bist phylogenetisch so programmiert, dass deine kognitiven und energetischen Reserven so weit und lang wie möglich erhalten bleiben.
Das Gehirn ist kein Recorder, der ständig alle wahrgenommenen Details und Informationen registrieren, verarbeiten und analysieren würde. Stattdessen konzentriert sich das Gehirn auf das, wovon du ausgehst, dass es sich am wahrscheinlichsten verändern wird. Dieser selektive Fokus ist das Ergebnis von Erfahrung und Persönlichkeit.
In dem oben genannten Szenario ist es zum Beispiel wahrscheinlicher, dass der zu verkaufende Gegenstand, den der Verkäufer sogleich aus der Vitrine nimmt, deine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Akteure ausgewechselt wird, ist sehr gering. Dein Gehirn geht davon aus, dass der Verkäufer dieselbe Person bleibt, wodurch es Energie sparen kann.
Selektive Wahrnehmung
Dieses Phänomen der Blindheit für Veränderungen ist umso ausgeprägter, wenn du bestimmte Reize empfängst, die deine Aufmerksamkeit einfangen und festhalten. Dies erklärt, warum du nicht die Augen von der Waffe nehmen kannst, während du einen bewaffneten Überfall miterlebst. Im Allgemeinen erschöpft dieses Bild deine Aufmerksamkeitskapazitäten vollkommen. Es bleibt kein Platz mehr für andere Details. Schau dir dazu noch dieses interessante Video an.
Illusionisten oder Magier verwenden diese Technik häufig und „nutzen“ unsere Blindheit für Veränderungen. Sie wissen genau, wo wir unsere Aufmerksamkeit haben und wie sie im richtigen Moment ihre Tricks ausführen können. Sich unter diesem „Mantel der Unsichtbarkeit“ zu bewegen, ist die wahre Zauberkunst!
Blind sein, um unsere Blindheit zu verändern
Wie bereits gesagt wurde, wird dein tägliches Leben von Veränderungen bestimmt. Anstatt jedoch bescheiden zu sein und zu akzeptieren, dass du viele dieser Änderungen ganz und gar verpasst, bist du absolut davon überzeugt, dass du in der Lage wärst, unzählige kleine und allmähliche Änderungen zu erfassen. Deshalb sagen Experten oft, dass Menschen sogar zu blind seien, um die eigene Blindheit zu sehen.
Deine eigenen Einschränkungen nicht erkennen zu können, ist an und für sich schon eine Einschränkung.
Hier ist ein Beispiel, das recht häufig ist und diesen Punkt perfekt veranschaulicht: Du kannst jahrelang den gleichen Weg zur Arbeit nehmen und die kleinen Veränderungen, die sich von Tag zu Tag ergeben, nicht bemerken. Du bemerkst nicht, dass sie hier einen Zaun in einer anderen Farbe gestrichen haben, dass dort ein Verkehrszeichen verschwunden ist, dass drüben ein Laden geschlossen wurde. Dann befindest du dich eines Tages auf deiner normalen Route und denkst plötzlich: „Wie lange ist das denn schon so?“ Manchmal kommt diese Einsicht auch erst, wenn du länger abwesend warst und dann zurückkehrst.
Das Gleiche, was in deiner Umgebung passiert, passiert auch mit dir selbst. Du siehst dich jeden Tag im Spiegel und nimmst die Entwicklung und die Veränderungen, die das Alter in dein Gesicht und auf deinem Körper zeichnet, nur unzureichend wahr. Aber was würde passieren, wenn du dich zwei Monate lang nicht sehen könntest? Das wäre genau so, als wenn du einen Freund längere Zeit nicht siehst. Du bemerkst plötzlich all die kleinen Veränderungen, die stattgefunden haben. Du bemerkst die Gewichtsabnahme, die Falten, die Narben … Wenn du andererseits die Person jeden Tag siehst, sind diese Anzeichen, die den Lauf der Zeit kennzeichnen, für dich nicht erkennbar.
Das Gehirn ist immer noch ein nur wenig bekanntes Universum. Wahrnehmungsphänomene, wie etwa die Blindheit für Veränderungen, zeigen uns einmal mehr die Komplexität dieses wichtigen Organs.