Ängste, die sich hinter der Unordnung verstecken

Ängste, die sich hinter der Unordnung verstecken
Sergio De Dios González

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Letzte Aktualisierung: 13. Juli 2018

Es gibt eine ganze Reihe von Ängsten, die sich hinter der Unordnung mancher Menschen verstecken. Wenn jemand seine Sachen nicht in Ordnung hält, dann ist das eben nicht nur fehlender Zeit oder Vernachlässigung geschuldet. Es gibt Experten, die bezeugen, dass unsere unmittelbare Umgebung eine Projektion unseres Inneren sei. Deshalb kann das Maß der Ordnung, die gehalten wird, jede Menge Informationen darüber liefern, was sich im Inneren eines Menschen abspielt.

In vielen Fällen geht die Unordnung mit einem weiteren Phänomen einher: mit dem Sammeln von Gütern. Wo jemand lebt, der minimalistisch veranlagt ist, wird sich kaum Unordnung einstellen. Wenn wir unser Zuhause aber mit diversen Objekten füllen, brauchen wir mehr und mehr Zeit, um alles an seinen Platz zu bringen, um all diese Dinge zu säubern und ab und zu auch aus dem Weg zu räumen, weil wir nach dem suchen, was sich vielleicht darunter oder dahinter verbirgt.

“Es gibt wenige Formen der Ordnung, aber in infinite Varianten der Unordnung. Deshalb ist letztere so viel wahrscheinlicher.”

Murray Gell-Mann

In all dem Chaos, das sich in unserem Zuhause anhäuft, tendieren wir dazu, bestimmte Ecken mehr in Ordnung zu halten als andere. Nun könnte man das so interpretieren, dass die Tendenz zur Ordnung dann eben doch an einigen Stellen durch schimmere, aber es ist vielmehr so, dass die Art der Unordnung Hinweise auf unsere Ängste gibt.

Im Folgenden wollen wir uns deshalb anschauen, welche Ängste sich hinter der Unordnung verstecken können – aber zunächst betrachten wir kurz die allzu menschliche Sammelleidenschaft.

Verschiedene Arten, zu sammeln

Die Akkumulation von Gütern ist der erste Schritt zur Unordnung. Vielleicht magst du jetzt denken, das es doch eine triviale Angelegenheit sei, ob jemand mehr oder weniger dekoriert, ob auf dem Tisch ein paar Bücher und CDs liegen. Aber bereits dieser Zustand ist eine zuverlässige Reflexion dessen, was derjenige in sich trägt. Es werden zwei Arten des Sammelns unterschieden: die alte und die aktuelle.

Chaos im Wohnzimmer

Die alte hat mit all jenen Objekten zu tun, die – so geben es zumindest ihre Besitzer an – von außerordentlichem Wert für uns sind. Deshalb haben wir entschieden, sie aufzubewahren, auch wenn wir nicht wissen, wohin damit. Auch wenn wir heute mit Sicherheit sagen können, dass wir sie nie wieder nutzen werden. Ist diese Art der Sammelleidenschaft verstärkt ausgeprägt, kann sich der Betroffene nicht einmal mehr von Dingen trennen, denen selbst der keinen größeren Wert zuschreibt. Im Extremfall gilt es auch für Müll.

Aktuelles Sammeln hingegen beschreibt die Gewohnheit, im Laufe von Tagen und Wochen verschiedene Dinge hervorzukramen, möglicherweise zu nutzen, aber nicht wieder zurückzuräumen. Kleidung, Putzutensilien, Spielzeug, Papier und Dokumente und all die anderen Sachen, die einen mehr oder weniger festen Platz in unserem Zuhause haben, die wir aber auf halbem Weg dorthin liegen lassen. Wir finden einfach nicht den passenden Moment, um Ordnung zu schaffen, und stapeln lieber: Kleidung auf dem Stuhl, Putzutensilien neben dem Schuhschrank, Bücher und CDs auf dem Wohnzimmertisch. Manch einer mag das bereits als Ordnung bezeichnen, aber eine Harmonie geht von dieser Organisation nicht aus.

Das Sammeln, in beiden Formen, reflektiert, ähnlich wie die Unordnung selbst, verschiedene Ängste. Wer an Objekten hängt, die er mit der Vergangenheit verbindet, hat möglicherweise Angst davor, diese loszulassen. Die Umstände, wie sie früher waren, geben ihm eine gewisse Sicherheit, aber die Akzeptanz der jetzigen Umgebung würde es erfordern, seine Komfortzone zu verlassen. Ängste, die sich im aktuellen Sammeln widerspiegeln, haben hingegen mit der Gegenwart zu tun. Der Betroffene fürchtet sich wahrscheinlich davor, ein aktuelles Problem zu konfrontieren.

Ängste, die sich hinter der Unordnung verstecken

Wie oben bereits erwähnt haben, ist Unordnung nicht gleich Unordnung. Die Räume und Ecken im Haus, in denen das Chaos besonders deutlich zutage tritt, sagen viel darüber aus, welche Ängste den Betroffenen plagen. Es ist eben nicht dasselbe, wenn die Küche aussieht, als wäre vor vier Wochen das Wasser abgestellt worden, oder wenn im Wohnzimmer vor lauter Chaos der Teppich nicht mehr zu sehen ist.

Unordnung auf dem Sofa

In der Regel lässt sich den einzelnen Formen der Unordnung folgende Bedeutung zuordnen:

  • Wenn das Chaos hauptsächlich hinter Türen wartet, geht es wahrscheinlich darum, dass der Betroffene Angst hat, von anderen abgelehnt zu werden. Vielleicht hat er auch das Gefühl, beständig überwacht zu werden.
  • Stolpert der Besucher hingegen schon im Eingangsbereich, mag das ein implizites Zeichen dafür sein, dass sich der Bewohner davor scheut, zu anderen eine Beziehung einzugehen.
  • Generell wird gern in Fluren gesammelt. Diese Angewohnheit deutet auf Schwierigkeiten in der Kommunikation eigener Gedanken und Gefühle hin.
  • Wenn sich das Chaos in der Küche konzentriert, spricht das für emotionale Labilität und Groll, der nicht überwunden wurde.
  • Unordnung im Esszimmer findet sich häufig bei Familien, in denen einige wenige versuchen, die übrigen Familienmitglieder zu kontrollieren und zu leiten.
  • Angst davor, sich gegenüber der Welt zu öffnen, kann sich darin zeigen, dass im Wohnzimmer jede Menge Objekte gestapelt werden.
  • Diejenigen, die ihre Garage zum Sammelalbum machen, haben oft Angst vor Neuerungen.
  • Selten kommt es vor, dass sich kein Raum in größter Unordnung identifizieren lässt. Wenn der ganze Haushalt zu einem einzigen Chaos wird, ist eine grundsätzliche Abneigung dem Leben gegenüber, ein allgemeiner Interessenverlust oder Faulheit zu vermuten. Damit dieser Zustand erreicht wird, muss der Bewohner des Hauses schon eine ganze Weile apathisch durch selbiges wandeln.

Auf die Unordnung, die sich in bestimmten Möbeln konzentriert, wollen wir nur kurz eingehen. Das Paradebeispiel für diese Art des Chaos ist der unaufgeräumte Schreibtisch. Wer seinen Arbeitsplatz so gestaltet, fühlt sich vielleicht überfordert, verlangt von sich selbst, die Kontrolle über das zu bewahren, was außerhalb seiner Reichweite liegt. Das generiert Frust. Immerhin ist der chaotische Schreibtisch jedoch sichtbar, denn so mancher, der die Unordnung pflegt, sammelt unter dem Bett, unter Schränken oder an sonstigen Orten, die von anderen nicht eingesehen werden. Damit schützt er sich vor deren Meinung.

Unordnung im Schlafzimmer

Allgemeine Überlegungen zu Unordnung und Ängsten

Die im vorigen Absatz vorgestellten Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Unordnung und Ängsten lassen sich allgemein damit erklären, dass die gesammelten Objekte die Funktion eines Vorhangs oder auch einer Mauer erfüllen. Sie sollen den Kontakt zu dem, was sich auf der jeweils anderen Seite befindet, minimieren. Ein Grund dafür mag sein, dass derjenige, der die Mauer errichtet, sich vor dem fürchtet, was auf der anderen Seite vermutet. Umgekehrt ist es aber ebenso möglich, dass er verstecken möchte, was auf seiner Seite liegt.

Über die Ängste hinaus, die sich hinter ihr verbergen mögen, kann beständige Unordnung zu einem Hindernis in unserem Alltag und in unserer persönlichen Entwicklung werden. Es ist daher eine gesunde Gewohnheit, sich dann und wann von Gegenständen zu trennen, die in unserem jetzigen Leben keinen Platz mehr haben. Und weil das nicht ausreicht, sollten wir unser Zuhause alle paar Monate gründlich ausmisten. Es ist erstaunlich, was sich in so kurzer Zeit anhäufen kann! Wie Silbermond uns bestätigen: Es reist sich besser mit leichtem Gepäck.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.