Was ist der Unterschied zwischen ehrlich und brutal ehrlich sein?

Was ist der Unterschied zwischen ehrlich und brutal ehrlich sein?
Adriana Díez

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Adriana Díez.

Letzte Aktualisierung: 24. April 2023

Ist es gut, immer die Wahrheit zu sagen und so brutal ehrlich zu sein? Wird es wirklich geschätzt, wenn ein Mensch stets ehrlich ist? Wann sprechen wir davon, ehrlich zu sein, und wann davon, schonungslos ehrlich zu sein? Brutal ehrlich zu sein bedeutet, ungeschönt die Wahrheit zu sagen, ohne Grenzen zu kennen oder zu berücksichtigen, was der andere will oder wie er sich fühlt.

Am besten wäre es natürlich, die Wahrheit zu benutzen, um zu helfen, und ehrlich zu sein, um etwas zu erschaffen, aber niemals um andere zu verletzen oder zu zerstören. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Wahrheit eine sehr mächtige Waffe ist, der es niemals an Empathie und sozialer Intelligenz mangeln sollte. Denn im Grunde genommen können wir davon ausgehen, dass nicht durchdachte Ehrlichkeit unnötigen Schaden anrichten kann.

Wenn wir brutal ehrlich sind, kann es gut sein, dass wir keine Lügen erzählen und etwas ehrlich vermitteln wollen. Doch wenn wir das ohne Rücksicht auf den anderen tun oder nur, um uns selbst zu erleichtern, verhalten wir uns weder richtig noch sprechen wir die Wahrheit angemessen aus. Wir verkünden lediglich objektive Realitäten, die unsere Mitmenschen in empfindlichen Momenten verletzen.

Sollen wir also lügen, um andere nicht zu verletzen? Die Antwort ist nicht leicht zu formulieren. Das Beste, das wir tun können, ist zu kommunizieren, was wir sagen möchten, aber sensibel dabei vorzugehen, den richtigen Moment und den richtigen Ort dafür zu finden. Darüber hinaus sollten wir die bestmögliche Art und Weise finden, uns mitzuteilen.

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Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir lügen?

Eine in der Zeitschrift Nature Neuroscience  veröffentlichte Studie zeigte, dass die Amygdala, das Gehirnareal, das aktiviert wird, wenn wir lügen, immer weniger aktiv ist, je mehr Unwahrheiten wir erzählen. Das bedeutet, dass sie desensibilisiert wird, wenn wir immer wieder die Unwahrheit sagen. Daraus können wir schließen, dass sich unser Gehirn entspannt und daran gewöhnt, nicht die Wahrheit zu sagen, wenn wir eine Lüge aussprechen.

Doch wir sollen nicht lügen, sondern lernen, eine Wahrheit angemessen zu vermitteln. Unsere sozialen Bindungen werden nicht überleben, wenn wir gewisse Dinge nicht aus unserer Kommunikation filtern, unabhängig davon, ob die von uns mitgeteilte Botschaft der Wahrheit entspricht.

Wie wir bereits gesagt haben, ist es kein besonders passendes Verhalten, brutal ehrlich zu sein; es steigert auch nicht unser Selbstwertgefühl und hilft uns nicht, zwischenmenschliche Beziehungen auf eine solidere Basis zu stellen. Was uns genau dabei hilft, ist, sensibel zu sein. Gewisse Wahrheiten muss man so vorsichtig aussprechen wie eine Feder zart ist – andere hingegen sollte man sich verkneifen, bis der richtige Moment gekommen ist. Und wiederum andere sollten wir niemals zum Ausdruck bringen, weil sie schlichtweg nicht von Bedeutung sind und nur Schaden anrichten. Es gibt auch Wahrheiten, die wir Stück für Stück kommunizieren sollten, sodass unser Gegenüber Zeit hat, sie peu à peu zu verarbeiten.

Wer seine Gefühle ausdrücken kann, ohne andere zu verletzen, ist ein wahrer Held. Das sind Menschen, die sich Zeit nehmen, ihre Worte abzuwägen, und die mit ihrem Handeln und ihrer Ausdrucksweise dazu beitragen, dass sich ihr Umfeld verbessert und sich ihre Mitmenschen besser fühlen.

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Ist es gut, immer brutal ehrlich zu sein, oder gibt es auch ein Zuviel an Ehrlichkeit?

Die mexikanische Psychologin Claudia Castro Campos führte eine Studie über Lügen durch und schlussfolgerte, dass der durchschnittliche Mensch über den Tag verteilt mindestens eine oder zwei Lügen aussprechen würde, ganz egal ob es sich dabei um große oder kleine Unwahrheiten handele. Wir würden Lügen dazu benutzen, die Realität zu unseren Gunsten zu verändern.

Wir alle kennen das Sprichwort, das Betrunkene und Kinder immer die Wahrheit sagen. Das passiert, weil unser Gehirn in alkoholisiertem Zustand bzw. in der Kindheit weniger zensiert und wir weniger gehemmt sind, zu sagen, was uns durch den Kopf geht. Bei Kindern funktioniert das keinesfalls so wie bei Erwachsenen, denn sie lernen erst später, zu ihrem Vorteil zu lügen. Unsere Gesellschaft bereitet uns darauf vor, die Wahrheit zu verbergen oder zu beschönigen, und das mit der Absicht, die Folgen zu kontrollieren.

„Was wir machen sollten, ist nicht brutal ehrlich sein, sondern niemals das Gegenteil von dem zu sagen, was wir denken.“

Carmen Terrasa

Wer gut entwickelte soziale Fähigkeiten hat, kann ehrlich sein, ohne damit jemandem zu schaden. Es geht nicht darum, zu lügen, sondern eine Information auf eine angemessene Weise zu vermitteln. Es geht auch nicht darum, am ehrlichsten zu sein, sondern darum, die Wahrheit auf bestmögliche Weise zu kommunizieren. Wir sollten uns selbst treu bleiben, ohne dabei zu vergessen, welchen Schaden wir in unseren Mitmenschen anrichten können – mit einer schonungslosen Wahrheit und mit einer Lüge. Eine Wahrheit, die auf intelligente und gut gemeinte Weise vermittelt wird, wird sich immer als nützlich erweisen.


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  • Wallace, Duncan (2014) Book of Psychological Truths. Brigham Distributing
  • Goleman, Daniel (1996) Vital Lies, Simple Truths: The Psychology of Self-Deception. Simon & Schuster

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