Die Zeit aus philosophischer Sicht

„Schon immer wurde die Zeit mit den Instrumenten verwechselt, die sie messen.“ Cees Nooteboom macht mit seinem Zitat deutlich, dass die Zeit ein komplexes Thema ist. Wir laden dich heute ein, mit uns darüber nachzudenken, was Zeit ist.
Die Zeit aus philosophischer Sicht

Letzte Aktualisierung: 30. August 2023

Von den Natur- und Kognitionswissenschaften, über Geschichte, Human-, Sozial und Sprachwissenschaften bis zur Medizin und den Wirtschaftswissenschaften befassen sich zahlreiche Disziplinen mit der Zeitwahrnehmung. Die Philosophie versucht, verschiedene Zeitkonzepte in Beziehung zu setzen und einen Beitrag zum Verständnis des Wesens der Zeit zu leisten. Philosophen wie Platon, Aristoteles, Hegel und Heidegger beschäftigten sich mit der Frage: “Was ist Zeit? Wir laden dich heute ein, mit uns darüber nachzudenken.

Was ist Zeit?

Meistens mangelt es uns an Zeit, in manchen Situationen vergehen die Minuten jedoch viel zu langsam. Wir sprechen über ein komplexes Konstrukt, mit dem sich schon viele Wissenschaftler und Philosophen beschäftigten. Platon beschrieb sie als das bewegte Abbild der unbewegten Ewigkeit: Alle Formen, die uns in Raum und Zeit erscheinen, sind vergänglich, nur die ewigen Ideen sind das eigentlich Seiende. Sie sind unbeweglich und haben weder Anfang noch Ende.

Die Stanford Encyclopedia of Philosophy erklärt, dass sich Platon die Zeit als leeres Gefäß vorstellte , das mit Dingen und Ereignissen gefüllt wird. In diesem Sinne geht er von einer absoluten Zeit aus, die von den weltlichen Geschehnissen unabhängig ist.

Aristoteles hingegen definiert sie als Maß jeder Bewegung, in der Veränderungen geschehen. Mittels Bewegung kann deshalb auch die Zeit bestimmt werden, die sich in unendlich viele Zeitintervalle einteilen lässt. Der griechische Philosoph geht also von einem Kontinuum von Raum und Zeit aus. Alles, was im Jetzt geschieht, vergeht sofort. Auch die Zukunft wird so schließlich zur Vergangenheit. Dies entspricht der philosophischen Denkströmung des Relativismus.

Existiert die Zeit?

Es mag offensichtlich erscheinen, die Antwort ist jedoch komplex. Der Physiker und Wissenschaftsphilosoph Etienne Klein¹ geht von den drei Zeiten aus, die uns alle prägen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die Vergangenheit existiert, weil ihre Spuren im Jetzt präsent sind. So ist zum Beispiel unser erwachsenes Selbst das Ergebnis unserer Vergangenheit als Kind. Deshalb ist es unbestreitbar, dass es eine Zeit vor dem Erwachsensein gab.

Die Gegenwart hingegen wird oft als die realste Zeit angesehen, da sich darin unser Leben abspielt. Aus philosophischer Sicht kann sie jedoch in Bezug auf die Vergangenheit und die Zukunft Unterschiede und Unvereinbarkeiten aufweisen. Die Zukunft ist noch nicht eingetroffen und wird deshalb oft als nicht real betrachtet.

Augustinus² ist der Meinung, dass es möglich ist, zukünftige Zeiten in der Gegenwart zu betrachten, weil sie in unserem Bewusstsein sind. In diesem Sinne hat ihre Realität die Form einer Fiktion, es handelt sich also um ein mögliches Ereignis, das wir uns wünschen.

Zeit als Illusion

Der britische Physiker Julian Barbour³ vereint die Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik, um das Zeitproblem zu betrachten. Er spricht von der Unwirklichkeit der Zeit und argumentiert, dass unsere Definition widersprüchlich, unzureichend oder zirkulär ist. Für ihn existiert die Zeit als solche nicht, es gibt nur Zeitkapseln des Augenblicks, die im menschlichen Gehirn die Zeit vorspiegeln.

Für Barbour ist die Zeit eine Illusion, nur die Veränderung ist messbar.

Newtons Zeitkonzept

Isaac Newton vertrat ein Zeitkonzept, das dem von Platon ähnelt. Die Zeitschrift Colombian Journal of Philosophy of Science hebt in einem Artikel hervor, dass für den bekannten Physiker und Mathematiker die Zeit absolut und unabhängig von äußeren Dingen ist.

Er betrachtete die Zeit als Grundvoraussetzung für die Veränderung von Körpern. Ohne sie gäbe es keine Veränderung, nur Stillstand und Trägheit.

Isaac Newton ging von einem absoluten, universellen Zeitkonzept aus: Wir könnten im gesamten Universum Uhren aufstellen, die alle synchron laufen würden. 

Martin Heidegger

Martin Heidegger beschäftigte sich in seinem Buch Sein und Zeit, das erstmals 1927 veröffentlicht wurde, mit diesem Thema. Er beschrieb darin die Zeit als kontinuierliche Abfolge von Jetztpunkten. Für den deutschen Philosophen ist diese Dimension ein notwendiger Bestandteil der menschlichen Existenz: Wir sind von der Gegenwart und der “Gewesenheit”, leben jedoch auch in einem “Noch-nicht-Zustand”, nämlich der Zukunft.

Heidegger konzentriert sich auf die negativen Seiten des Daseins. Es geht ihm darum, das Dasein mit dem Tod in Beziehung zu setzen, denn der Zeitablauf führt unweigerlich zum Lebensende.

Die Zeitwahrnehmung

Wir sehen, wie sich die Zeiger der Uhr vorwärts bewegen, Sekunde für Sekunde, Minute für Minute. Wir könnten denken, dass dies eine Art der Zeitwahrnehmung ist, aber ist das wirklich so?

Wir nehmen die Zeit nicht über die Sinne wahr: Wir können sie nicht sehen, berühren oder riechen. Deshalb betont ein in der Stanford Encyclopedia of Philosophy erschienener Artikel, dass wir die Zeitdauer wahrnehmen. Die Zeitwahrnehmung hängt mit unserem Gedächtnis zusammen: Wir haben Erinnerungen an die Vergangenheit und können uns die Zukunft vorstellen.

Außerdem ist die Zeitwahrnehmung subjektiv. Immanuel Kant bezeichnete die Zeitlichkeit als eine reine Form der Anschauung, eine subjektive Vorstellung, die empirisch ist, jedoch keine absolute Realität.

Bis heute gibt es in der Philosophie keine einheitliche Vorstellung über die Zeit. Wir können uns wie Aristoteles auf die Messung konzentrieren oder wie der Heilige Augustinus im Inneren des Subjekts nach dem Zeitbewusstsein suchen. Doch die Zeit ist noch immer ein Rätsel, auch für die Wissenschaft.

“Was ist also Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.”

Augustinus

▶ Lese-Tipp

  1. Die Zeit, Étienne Klein, Bastei Lübbe 1998
  2. Bekenntnisse, Aurelius Augustinus, Reclam 1989
  3. The End of Time: The Next Revolution in Physics, Julian Barbour, Oxford Universyty Press 2001
  4. Sein und Zeit, Martin Heidegger, De Gruyter 2006

Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.



Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.