Postvention: Wenn die Suizidprävention fehlschlägt

Was passiert, wenn die Suizidprävention fehlschlägt? Und was bedeutet es, wenn postventive Maßnahmen durchgeführt werden, nachdem sich ein Mensch das Leben genommen hat? In unserem heutigen Artikel erzählen wir dir mehr über Postvention und welche Bedeutung sie hat.
Postvention: Wenn die Suizidprävention fehlschlägt

Letzte Aktualisierung: 19. September 2020

Suizidales Verhalten ist ein komplexes Phänomen, das von psychologischen, biologischen, sozialen, kulturellen und Umweltfaktoren beeinflusst wird. Es kann Menschen jeden Alters, Geschlechts, jeder Kultur oder sozialer Gruppe betreffen. Die multikausale Natur des Suizids erfordert einen systemischen und transversalen Ansatz, um ihn zu verhindern. Wenn die Prävention jedoch fehlschlägt, müssen wir über Postvention sprechen.

Postvention soll der Familie und den Angehörigen von Menschen, die sich das Leben genommen haben, Hilfe und Unterstützung bieten. Aufgrund des Stigmas, das den Selbstmord umgibt, ist es nicht ungewöhnlich, dass die nächsten Angehörigen widersprüchliche Gefühle haben.

Selbstmord ist in den USA die häufigste unnatürliche Todesursache. Es sterben mehr Menschen durch Suizid als bei Verkehrsunfällen. Im Jahr 2018 haben sich dort mehr als 48.000 Menschen das Leben genommen, das sind 132 Tote pro Tag und 5 Suizide pro Stunde.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO meldet jedes Jahr beinahe eine Million Todesfälle durch Suizid und prognostiziert, dass die Zahl im Jahr 2020 auf eineinhalb Millionen ansteigen wird. Außerdem fanden sie heraus, dass Männer sich häufiger das Leben nehmen als Frauen, wobei Frauen mehr als doppelt so viele Selbstmordversuche unternehmen.

Postvention - deprimierte Frau

Suizidprävention

Für jeden Menschen, der Selbstmordgedanken hat, ist es wichtig zu wissen, dass es jemanden gibt, an den er sich wenden kann – jemanden, dem er vertraut und mit dem er seine Probleme besprechen kann, ohne Angst haben zu müssen, stigmatisiert zu werden. Außerdem ist es extrem wichtig, dass Betroffene sich an einen Fachmann wenden, der angemessene Präventionsmaßnahmen empfehlen kann.

Bedenke immer Folgendes: Selbstmord ist eine endgültige und dauerhafte Lösung für ein Problem oder Probleme, die in den meisten Fällen nur vorübergehender Natur sind. Nur weil es momentan keine offensichtliche Lösung zu geben scheint, bedeutet das nicht, dass du nicht morgen eine finden kannst.

Es kann für die betroffene Person sehr hilfreich sein, die Situationen zu identifizieren, die eine Krise auslösen. Mit anderen Worten, sie muss die Ursache für ihre suizidalen Gedanken finden, um verstehen zu können, wann eine Krise entstehen könnte.

Die Ausarbeitung eines “Notfallplanes” mit oder ohne Hilfe eines engen Freundes oder eines medizinischen Fachmanns kann dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass dieser Mensch einen Selbstmordversuch unternehmen wird. Dieser Plan könnte die folgenden Punkte enthalten (nur zu Orientierungszwecken):

  • Warnsignale
  • Unterstützungsnetzwerk: Die Namen und Kontaktdaten von Vertrauenspersonen, die der Betroffene im Notfall oder bei einem bevorstehenden Selbstmordversuch anrufen kann.
  • Ankerpunkte: Menschen oder Gründe, die das Leben lebenswert machen.
  • Präventive Maßnahmen: Suche nach alternativen Lösungen. Entfernen von Gegenständen, die der Betroffene nutzen könnte, um sich selber Schaden zuzufügen.
  • Eine Liste von Telefonnummern mit 24-Stunden-Notfall-Hotlines für suizidgefährdete Menschen.
  • Eine Erinnerung, die 112, den psychologischen Notdienst 116 111 oder die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses anzurufen, wenn die vorherigen Schritte nicht geholfen haben und ein akutes Selbstmordrisiko besteht.

Postvention: Wenn alles andere versagt

Wie wir bereits eingangs erwähnt haben, besteht Postvention darin, den Angehörigen eines Menschen, der sich das Leben genommen hat, soziale, psychologische und institutionelle Hilfe zu geben. Die Betroffenen sollen dabei unterstützt werden, auf gesunde Weise zu trauern. Gleichzeitig werden alle Risikofaktoren berücksichtigt, die den Trauerprozess erschweren könnten.

Jeder Mensch trauert anders. Und die Trauer nach einem Suizid unterscheidet sich häufig sehr stark von anderen Formen der Trauer. Es gibt keine richtigen und falschen Reaktionen. Alle Gefühle sind vollkommen akzeptabel und normal (Schock, Verleugnung, Schuld, Schmerz, Schamgefühle…).

Darüber hinaus fragen Familie und Freunde nach einem Suizid sehr häufig nach dem “Warum” (warum hat er oder sie das getan, warum habe ich nicht geholfen…?). Außerdem drehen sich viele Gedanken um das “Wenn” (wenn ich es nur früher bemerkt hätte, wenn er oder sie sich doch nur Hilfe gesucht hätte…).

Im Verlaufe des Trauerprozesses beginnen die Hinterbliebenen zu verstehen, dass, obwohl Suizid in einigen Fällen verhindert werden kann, dies in anderen Fällen, auch mit den besten Präventionsmaßnahmen und Interventionen, schlichtweg nicht möglich ist.

Sie hätten nicht verhindern können, was geschehen ist. Der Trauerprozess endet, wenn die Angehörigen verstehen, dass sie niemals Antworten auf all ihre Fragen erhalten werden. Dann beginnen sie zu akzeptieren, dass sie niemals vollkommen die Gründe verstehen können, warum sich dieser Mensch das Leben genommen hat.

Akzeptanz ist der beste Weg, um mit einem Verlust umzugehen. Obwohl es unendlich schwierig erscheinen mag, müssen wir die Entscheidung eines Menschen akzeptieren. Und dürfen ihn nicht länger für das Leiden und den Schmerz verantwortlich machen, den er verursacht hat. Schließlich können die Angehörigen damit beginnen, diesem Menschen zu verzeihen. Und sich selber auch. Allerdings können trotz dieser Akzeptanz und Vergebung dennoch weiterhin Schuldgefühle bestehen bleiben.

Postvention - Frau beim Therapeuten

Mythen über Selbstmord widerlegen: Die grundlegenden Strategien für Postvention

Um das Thema Selbstmord ranken sich nach wie vor viele Mythen. Suizid ist immer noch ein Tabuthema. Daher empfinden die Familien und Freunde von Menschen, die sich das Leben genommen haben, häufig eine Reihe widersprüchlicher Gefühle.

Neben Trauer und Traurigkeit treten häufig Gefühle wie Wut und Zorn auf. Darüber hinaus sind auch Schamgefühle sehr verbreitet. Diese führen dazu, dass viele Menschen die wahre Todesursache vor Außenstehenden verbergen, aus Angst davor, dafür verurteilt zu werden.

Daher ist es wichtig, bei der Postvention psychologische Unterstützung und psychoedukative Strategien einzubeziehen. Dies sind Strategien, die beim Umgang mit den Reaktionen und Gefühlen helfen sollen, die viele Menschen während der Trauerphase empfinden. Außerdem erhalten sie Hilfestellungen für den Umgang mit sozialer Kritik. Darüber hinaus ist es gleichermaßen wichtig, Familienmitglieder und Angehörige wissen zu lassen, dass sie das Recht dazu haben, zu schweigen, wenn sie das möchten.

Insbesondere das Widerlegen bestimmter Mythen über Suizid kann den Hinterbliebenen beim Umgang mit ihren widersprüchlichen Gefühlen und ihrer Angst vor Verurteilung helfen. Einige häufige Missverständnisse sind folgende:

  • Das Sprechen über Suizid führt und ermutigt zum Selbstmord.
  • Selbstmord kann nicht verhindert werden, weil der Mensch sterben möchte.
  • Suizid ist eine feige/mutige Handlung.
  • Menschen, die sich selber das Leben nehmen, tun dies nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
  • Diejenigen, die sich ernsthaft das Leben nehmen wollen, sprechen nicht darüber.

Abschließende Gedanken

Menschen, die einen Selbstmordversuch planen oder tatsächlich unternehmen, brauchen und verdienen Hilfe. Genauso wie ihr nahes Umfeld. Es ist wichtig, die Menschen nicht zu vergessen, die einen geliebten Menschen durch Suizid verloren haben.

Wenn der Trauerprozess an sich schon schmerzhaft und schwer ist, dann ist die Trauer um ein Suizidopfer mindestens genauso schmerzhaft und schwer. Oftmals ist sie begleitet von lang anhaltenden Schuld- und Schamgefühlen, die sich nur schwer behandeln und lindern lassen.

Wenn ein Mensch nicht angemessen trauert, kann dies langfristig zu Problemen führen. Ohne die erforderlichen Ressourcen und angemessene Unterstützung können sich daraus sogar Depressionen entwickeln.

Daher sollten wir uns nicht ausschließlich auf die Suizidprävention konzentrieren, sondern auch die postventiven Methoden verbessern. Darüber hinaus müssen Maßnahmen ergriffen werden, um das Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen und die Stigmatisierung zu beenden, die jene so stark belastet, die einen geliebten Menschen durch Selbstmord verloren haben.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.