Die Phase der Dekonstruktion in der narrativen Therapie

In der narrativen Therapie werden Person und Problem getrennt betrachtet: Nicht die Person ist das Problem, sondern das Problem.
Die Phase der Dekonstruktion in der narrativen Therapie
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 19. Februar 2023

Geschichten schaffen Verbundenheit und übermitteln gleichzeitig wichtige Informationen, was für unsere Vorfahren evolutionäre Vorteile bedeutete. Das mündliche Erbe nährte ihre Bindungen und stärkte die Gemeinschaft. Wir erzählen uns jedoch auch selbst Geschichten, um unseren Erfahrungen einen Sinn zu geben und unseren Platz in der Welt zu bestimmen. Diese inneren Gespräche führen allerdings manchmal auch zu Verzerrungen und Problemen, wenn sie von Vorurteilen und Ängsten geprägt sind. In der narrativen Therapie gibt es deshalb eine Phase der Dekonstruktion, bevor eine alternative Erzählung aufgebaut wird. Erfahre anschließend Spannendes zu diesem Thema.

In der narrativen Therapie werden Person und Problem getrennt betrachtet: Nicht die Person ist das Problem, sondern das Problem.

Die Phase der Dekonstruktion in der narrativen Therapie
Die Dekonstruktion ermöglicht es, Gedanken einzeln zu analysieren, um sie in positivere Ansätze umzuwandeln.

Narrative Therapie: Was ist das?

Die narrative Therapie ermöglicht es dir, zum Hauptdarsteller deines eigenen Lebens zu werden. Sie zeigt Wachstumsmöglichkeiten auf und hilft dir, deiner Existenz einen Sinn zu geben. Diese Therapie wurde in den 1980er-Jahren von den neuseeländischen Therapeuten Michael White und David Epston entwickelt und kommt heute in einer Vielzahl von psychosozialen Kontexten zum Einsatz.

Die narrative Therapie betont, dass das Problem nicht die Person ist: Wir müssen eine Trennung vornehmen, denn das Problem ist nichts weiter als das Problem. Dieser Ansatz macht deutlich, dass es positive und hoffnungsvolle Alternativen gibt, auch wenn wir in einer schmerzhaften Geschichte gefangen sind.

Untersuchungen von Dr. Daniel D. Hutto und Dr. S. Gallagher zeigen, dass diese therapeutische Praxis ein erhebliches Potenzial im Bereich des Selbstmanagements des Wohlbefindens hat. Die Techniken der narrativen Therapie kommen nicht nur in der Psychologie, sondern auch in der Sozialarbeit und der Medizin zum Einsatz. Wir skizzieren anschließend kurz die wichtigsten Säulen dieser Behandlungsform.

Gespräche, um das Leben neu zu schreiben

Michael White und David Epston schrieben 1990 den Bestseller Die Zähmung der Monster: Der narrative Ansatz in der Familientherapie¹, der eine Anleitung für die narrative Therapie darstellt. Patienten sollen zunächst ihre Lebensgeschichte erzählen, um selbst zu externen Beobachtern zu werden. Aus dieser distanzierten Position heraus analysieren sie mithilfe von Experten jene Aspekte, die Unbehagen auslösen oder verstärken. Da sie sich aus einer anderen Perspektive betrachten, können sie lähmende Schemata, Vorurteile und irrationale Überzeugungen aufdecken, die ihre inneren Erzählungen verzerren. Sie befreien sich so von Schuldgefühlen und erhalten Werkzeuge an die Hand, mit denen sie zu Experten werden können.

Dieses Modell, das auf therapeutischen Gesprächen basiert, erleichtert die allmähliche Entwicklung gesünderer Narrative und Skripte, bei denen die Person ein größeres Gefühl der Kontrolle über ihr Leben erlangt. Es geht darum, sie wieder zu ermächtigen, alleiniger Akteur in ihrem gegenwärtigen und zukünftigen Leben zu sein.

Die narrative Therapie verbindet uns mit unseren Werten und Zielen, um unser Leben in eine hoffnungsvolle Richtung umzuschreiben.

Die Phase der Dekonstruktion in der narrativen Therapie
Die narrative Therapie geht davon aus, dass wir unserem Leben einen Sinn geben können, wenn wir unsere Erfahrungen richtig interpretieren.

Dekonstruktion zur Bewältigung von Problemen und Herausforderungen

Die Dekonstruktion ist eine der bemerkenswertesten Techniken der narrativen Therapie. Sie wird eingesetzt, wenn ein signifikantes Problem vorliegt, das dem Wohlbefinden der betroffenen Person im Weg steht. Irrationale Vorstellungen wirken lähmend, Herausforderungen scheinen komplizierter als sie sind. Die Dekonstruktion hilft jedoch, Probleme zu zerlegen und die Ursachen zu erkennen. Wir können so analysieren, welche Schritte nötig sind, um Lösungen zu finden.

Erzähle deine Geschichte und beschreibe das Problem

Der erste Schritt besteht darin, das problematische Ereignis, das Stress, Angst und Unbehagen auslöst, genau zu beschreiben. Du musst dabei ehrlich sein und deine Gefühle und Gedanken offenlegen. Die Dekonstruktion ermöglicht die Analyse des Problems: Du wirst zu einem Detektiv, der versucht, jedes einzelne Detail zu verstehen:

  • Was hat die Situation ausgelöst?
  • Welche Rolle spielst du dabei? Bist du Täter oder Opfer?
  • Wie hast du dich gefühlt und wie fühlst du dich jetzt?
  • Was denkst du über diese Erfahrung?
  • Welche Ressourcen hast du, um mit der Situation umzugehen?
  • Wie wirken sich deine Ängste auf die Problemlösung aus?

Alternative Erzählungen

Nach der Dekonstruktion musst du Alternativen analysieren. Du selbst musst neue und gesündere Skripte formulieren, um dein Leben in die richtige Richtung zu lenken. Diese Fragen können dir dabei helfen:

  • Könntest du die Situation aus einer anderen Perspektive betrachten?
  • Was wäre, wenn du dir nicht selbst die Schuld an der Erfahrung geben würdest?
  • Welche Widersprüche findest du in deiner Geschichte?
  • Wie kannst du die Herausforderung bewältigen, jetzt, wo du die Einzelteile verstanden hast?

Wir alle erleben schwierige Situationen und komplexe Herausforderungen. Die Dekonstruktion kann helfen, neue Perspektiven und Lösungen zu erkennen. Probiere es aus!

Literaturempfehlung

  1. Die Zähmung der Monster: Der narrative Ansatz in der Familientherapie, Michael White und David Epston, Carl Auer 2020

Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Beaudoin M, Moersch M, Evare BS. The effectiveness of narrative therapy with children’s social and emotional skill development: An empirical study of 813 problem-solving stories. Journal of Systemic Therapies. 2016;(35)3: 42-59. doi:10.1521/jsyt.2016.35.3.42
  • Ghavibazou E, Hosseinian S, Abdollahi A. Effectiveness of narrative therapy on communication patterns for women experiencing low marital satisfaction. Australian & New Zealand Journal of Family Therapy. 2020;41(2):195-207.doi:10.1002/anzf.1405
  • Etchison, Mary & Kleist, David. (2000). Review of Narrative Therapy: Research and Utility. The Family Journal. 8. 61-66. 10.1177/1066480700081009.
  • Wallis J, Burns J, Capdevila R. What is narrative therapy and what is it not?: The usefulness of Q methodology to explore accounts of White and Epston’s (1990) approach to narrative therapy. Clin Psychol Psychother. 2011;18(6):486-97. doi:10.1002/cpp.723

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