Amygdala und Kontrollverlust: Wenn die Sicherung durchbrennt

Wenn die Amygdala überreagiert, um dich zu schützen, kann dies zu einer emotionalen Explosion führen, die genau das Gegenteil erreicht.
Amygdala und Kontrollverlust: Wenn die Sicherung durchbrennt
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 07. Oktober 2022

Ein Kontrollverlust kann dazu führen, dass wir “ausrasten” oder unsere “Sicherung durchbrennt”. Wir sprechen von einer emotionalen Explosion, von einer Situation, in der wir uns mitreißen lassen und jegliche Kontrolle verlieren. Bei Menschen mit einer posttraumatischer Belastungsstörung ist die Wahrscheinlichkeit größer, durch Angst oder Wut unverhältnismäßig zu reagieren. Die Amygdala spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Denn diese Gehirnstruktur ist unter anderem dafür verantwortlich, Anzeichen für Gefahr zu verarbeiten und entsprechende Reaktionen auszulösen, damit das Überleben und der Selbstschutz gesichert ist. Bei Bedrohungen oder Angst veränderst du dadurch automatisch dein Verhalten. Was die Sache komplizierter macht: Die Ängste müssen nicht real sein und die Reaktionen können ausarten.

Daniel Goleman prägte in seinem Klassiker “EQ. Emotionale Intelligenz” (1995) den englischen Begriff “Amygdala Hijacking”, um eine solche Situation zu beschreiben. Erfahre heute, was es damit auf sich hat.

Traumata verändern das Gehirn und damit auch unsere Reaktionen in bedrohlichen Situationen.

Amygdala und Kontrollverlust: Wenn die Sicherung durchbrennt
Die Hauptfunktion der Amygdala ist es, uns zu ermöglichen, auf gefährliche Situationen zu reagieren.

Amygdala und Kontrollverlust

Der Ausdruck “Amygdala Hijacking” bezeichnet eine intensive emotionale Reaktion in Stresssituationen. Die betroffene Person verliert die Kontrolle über ihre Gefühle. Damit wir diesen Zustand besser verstehen, schauen wir uns die Funktionsweise der Amygdala etwas genauer an.

Diese Gehirnstruktur ist überlebenswichtig. Sie bewertet Gefahren emotional und ist dazu programmiert, eine Kampf- oder Fluchtreaktion auszulösen. Diese Reaktionsmuster sind jedoch in unserer modernen Welt oft nicht hilfreich, denn unsere gegenwärtigen Bedrohungen sind fast immer emotional, sie werden durch Stress und (irrationale) Ängste ausgelöst. Deshalb ist diese evolutionär bedingte Reaktion in vielen Fällen nicht mehr zeitgemäß.

Die Amygdala hindert uns in Stresssituationen daran, logisch über eine Situation nachzudenken. Die Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol lässt uns schnell und unüberlegt handeln. Wir werden von intensiven Emotionen “gekidnappt”.

Wenn die Amygdala im Gehirn eine Gefahr erkennt, handelt sie in weniger als einer Sekunde. Der Neokortex hat kaum Zeit, diese Reaktion zu stoppen oder vorher eine rationalere Analyse der Situation vorzunehmen. Du bist deinen intensiven Gefühlen dann ausgeliefert.

Mann in der Therapie wegen Kontrollverlust
Menschen mit Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen leiden öfter an Kontrollverlusten. Eine Therapie ist in diesen Fällen unerlässlich.

Kontrollverlust: Wer ist besonders anfällig und was kannst du tun?

In den meisten Fällen führt Stress zu Überreaktionen. Besonders gefährdet für den Kontrollverlust sind jedoch Menschen mit Angststörungen. Untersuchungen der San Diego State University zeigen beispielsweise, dass Patienten mit sozialen Ängsten oder Panikstörungen eine überaktive Amygdala aufweisen. Ebenso leiden Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung häufig an “Amygdala Hijacking”.

Eine traumatische Erfahrung verändert das Gehirn, insbesondere die primitiven Areale wie Amygdala und Hippocampus. Deshalb sind manche Menschen ständig im Alarmzustand und sehen sich bedroht. Doch was kannst du in einer solchen Situation tun?

Emotionen erkennen und ihnen einen Namen geben

Der Kontrollverlust beginnt mit körperlichen Veränderungen: Herzrasen, Schwitzen, Druck in Brust und im Magenbereich … Wenn du diese Anzeichen kennst, kannst du dazu übergehen, die damit verbundenen Gefühle zu benennen – unter anderem Angst und Unruhe.

Die 6-Sekunden-Regel

Cortisol und Adrenalin entfalten ihre Wirkung in ungefähr 6 Sekunden. Bei den ersten Anzeichen hast du deshalb kurz Zeit, um zu reagieren. Atme tief durch, um Spannungen abzubauen und deinen Geist zu beruhigen. Lerne spezifische Techniken, die dir helfen, schnell zur Ruhe zu kommen.

Gönne dir eine Pause

Intensive Emotionen sind anstrengend und beunruhigend. Wenn du einen Kontrollverlust erlebst, solltest du dir danach Ruhe gönnen. Gehe spazieren, halte ein Nickerchen oder sprich mit einer Vertrauensperson über den Vorfall. 

Psychotherapie

Du musst die Auslöser, die den Kontrollverlust verursachen, unbedingt verarbeiten. In den meisten Fällen verbergen sich dahinter Phobien, Traumata, Panikstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder ZwangsstörungenIn einer Psychotherapie erhältst du Werkzeuge und Strategien, die dir helfen, deine Emotionen besser zu regulieren. Dadurch kannst du die Kontrolle über dein Leben zurückzugewinnen.


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