Langzeitgabe: Sind Antidepressiva das ganze Leben lang nötig?

Du nimmst Antidepressiva schon über einen längeren Zeitraum ein? Erfahre, in welchen Fällen das wichtig ist und welche Nebenwirkungen auftreten können.
Langzeitgabe: Sind Antidepressiva das ganze Leben lang nötig?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 13. Mai 2023

Sind Antidepressiva das ganze Leben lang nötig? Die kurze Antwort lautet: Nein. Diese Medikamente bewirken Veränderungen im Gehirn und lindern depressive Symptome. Sie können jedoch die zugrunde liegenden Konflikte nicht lösen. Deshalb sind multidisziplinäre Interventionen wichtig, damit die betroffenen Personen Stabilität erreichen.

“Ich bin der bedauernswerteste unter allen lebenden Menschen. Wenn unsere ganze Menschheitsfamilie fühlen würde, wie ich fühle, gäbe es nicht ein fröhliches Gesicht auf dieser Erde.”Abraham Lincoln

Was sagt die Wissenschaft über die Langzeitgabe von Antidepressiva?

Antidepressiva wirken nicht am ersten Tag, deshalb werden sie normalerweise über einen Zeitraum von vier bis sechs Monaten verschrieben. Nach dieser Zeit beurteilt die Ärztin oder der Arzt die Ergebnisse und im Idealfall werden diese Arzneimittel schrittweise abgesetzt. Es kann jedoch auch eine längere Behandlung erforderlich sein.

Antidepressiva erhöhen die Verfügbarkeit von Serotonin und Noradrenalin, allerdings deuten eine Studie des University College London (2022) sowie andere Forschungen darauf hin, dass keine ausreichenden Beweise für die Annahme vorliegen, dass Depressionen auf ein Defizit dieser Neurotransmitter zurückzuführen sind.

Aus diesem und auch aus anderen Gründen ist eine multidisziplinäre Behandlung entscheidend. Bei Depressionen sind verschiedene Strategien nötig, um Betroffenen zu helfen, die Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen.

1. Jeder Patient hat andere Bedürfnisse

Die Einnahme von Psychopharmaka sollte begrenzt sein, der Zeitpunkt der langsamen Herabsetzung der Dosis und der Absetzung des Medikaments sollte jedoch sorgfältig gewählt werden, um einen Rückfall und noch tiefere Verzweiflung zu verhindern.

Eine großangelegte Studie an der Universität von North Carolina ergab, dass sich nur ein Drittel derjenigen, die diese Medikamente nehmen, innerhalb weniger Monate vollständig erholt. Die meisten Patienten benötigen mehr Zeit, um die Wirkung der Arzneimittel zu spüren. Es kann außerdem vorkommen, dass Patienten verschiedene Antidepressiva ausprobieren, da sie nicht das für sie passende Medikament finden können.

Arzt verschreibt Antidepressiva
Die Verabreichung von Antidepressiva sollte immer fachärztlich überwacht werden.

2. Rückfälle sind häufig

Bei der Einschätzung der Dauer einer pharmakologischen Intervention gegen Depressionen müssen mögliche Gefahren berücksichtigt werden; die vielleicht wichtigste ist der Rückfall. Eine Studie der Universität von Minnesota sowie andere Untersuchungen zeigen, dass 50 % der Patienten nach der ersten Depression einen Rückfall erleiden, davon erleiden 80 % einen dritten Rückfall.

In vielen Fällen werden die Arzneimittel abgesetzt, später jedoch erneut verschrieben. Um die schlimmsten Auswirkungen eines Rückfalls zu vermeiden, müssen die Patienten über diese Möglichkeit Bescheid wissen und wissen, wie sie damit umgehen können. Sie sollten darüber informiert werden, wenn es ihnen gut geht. Erzähltechniken können einen positiven Beitrag leisten. Andererseits ist zu beachten, dass die Neigung zu Rückfällen oft genetisch bedingt ist.

Viele Menschen Antidepressiva über einen langen Zeitraum ein. Die Ursachen sind ständige Rückfälle, die oft auf genetische Faktoren, komplexe persönliche Bedingungen und den Mangel an angemessener psychologischer Unterstützung zurückzuführen sind.

3. Faktoren, die eine Langzeitgabe nötig machen

Es gibt zahlreiche Variablen, die die Dauer der Behandlung mit Antidepressiva beeinflussen. Wenn ein Patient zwei oder drei Episoden einer schweren Depression hinter sich hat, können Ärzte eine längere Behandlung empfehlen, die sich über Jahre hinziehen kann. Weitere Faktoren, die eine Langzeitgabe nötig machen können, sind:

  • Regelmäßige Rückfälle
  • Falsche Diagnose und unwirksame Behandlungsansätze
  • Psychische Krankheiten in der Familie
  • Ablehnung einer Psychotherapie und Chronifizierung der Depression
  • Stress, traumatische Erfahrungen und Schlafprobleme
  • Manchmal ist es schwierig, das richtige Antidepressivum zu finden, was dazu führen kann, dass jahrelang verschiedene Präparate ausprobiert werden.
  • Klinische Komorbiditäten

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Langzeitgabe von Antidepressiva und gesundheitliche Risiken

Die Langzeitgabe von Antidepressiva ist nicht risikofrei. Wie viele andere Medikamente haben Antidepressiva Nebenwirkungen, auch wenn sich die Formulierungen in den vergangenen Jahren sehr verbessert haben. Diese Arzneimittel verlieren außerdem mit der Zeit ihre Wirksamkeit.

Die Universität Auckland beschreibt in einer Studie folgende Risiken bei einer längeren Einnahme von Antidepressiva:

  • Müdigkeit
  • Suizidgedanken
  • Gewichtszunahme
  • Sexuelle Funktionsstörung
  • Soziales Desinteresse
  • Risiko für Diabetes
  • Emotionale Gefühllosigkeit
  • Gastrointestinale Probleme
  • Suchtgefühl
  • Einschränkung des Empfindens positiver Emotionen

Zu diesen allgemeinen Nebenwirkungen kommen individuelle Symptome, die von anderen medizinischen Umständen abhängen. Offensichtlich ist, dass die Langzeitgabe die depressiven Symptome verstärken kann.

Patienten sollten immer fachärztlich betreut werden, um die Nebenwirkugen von Psychopharmaka möglichst gering zu halten.

Frau nimmt Antidepressiva und macht Psychotherapie
Eine Psychotherapie hilft Betroffenen, an den Ursachen der Depression zu arbeiten und Rückfälle zu vermeiden.

Fazit

Im Allgemeinen sollten Antidepressiva nicht über längere Zeiträume zum Einsatz kommen, doch es gibt Fälle, in denen das nötig ist. Manche Personen sind jahrelang auf diese Arzneimittel angewiesen. Auch wenn diese Medikamente wirksam sind, reduzieren sie nur die Symptome. Das Problem selbst kann in einer Psychotherapie behandelt werden. Außerdem ist die Veränderung des Lebensstils von Vorteil, um dem Kreislauf der Depression zu entkommen.

Derzeit kommt die kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen erfolgreich zum Einsatz. Studien, wie die von Dr. John D. Teasdale von der Universität Oxford, unterstreichen die Vorteile dieses Ansatzes. Zögere nicht, den Schritt zu wagen und fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen.

▶ Lese-Tipp


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