Personenzentrierte Therapie zur Suizidprävention

Menschen mit Suizidgedanken und Depressionen benötigen Verständnis, Mitgefühl und Unterstützung. Der personenzentrierte Ansatz kann in der Prävention sehr hilfreich sein.
Personenzentrierte Therapie zur Suizidprävention
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 11. Januar 2023

Warum beginnt ein Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt damit, sich selbst zu schaden? Was geht in den Köpfen von Personen vor, die beschließen, ihrem Leben ein Ende zu setzen? Die Antwort ist überrascht nicht: Unerträgliches Leid bestimmt ihr Leben. Dazu kommt Hoffnungslosigkeit. Leider handelt es sich um eine häufige Erfahrung, deshalb ist die personenzentrierte Therapie zur Suizidprävention so wichtig.

Die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich selbst verletzen und Suizidgedanken haben, hat in den letzten Jahren zugenommen. Wir könnten über die Ursachen sprechen: soziokulturelle Faktoren, gefühlte Sinnlosigkeit, Traumata, Einsamkeit, Mobbing usw. Eine so ernste und manchmal sogar verschwiegene Realität benötigt jedoch vor allem effiziente Hilfs- und Betreuungsstrategien.

Es ist dringend notwendig, dass die Sozialpolitik sensibler auf ein Problem reagiert, das immer größer wird. So sind zum Beispiel die Raten von Depressionen und Angstzuständen bei den 15- bis 24-Jährigen stark angestiegen. Das Gleiche gilt für Besuche in der Notaufnahme von unter 25-Jährigen wegen Selbstverletzung. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass das Risiko für Männer deutlich größer ist: Rund 75 % der Selbsttötungen werden von Männern unternommen.

Die Daten zeichnen ein sehr gemischtes Bild, das es zu ändern gilt. Zu den dringenden Schritten zählen bessere Strategien zur Suizidprävention. Eine Möglichkeit ist die personenzentrierte Therapie, die wir uns heute etwas genauer ansehen.

Die Suizidprävention konzentriert sich fast immer auf biomedizinische Ansätze. Doch jenseits der Diagnosen gibt es Menschen mit einzigartigen Lebenssituationen, die es zu verstehen gilt.

Mann benötigt personenzentrierte Therapie
Die personenzentrierte Therapie basiert auf Gesprächen und versucht, die Person dazu zu bringen, sich in einer positiven und bedingungslosen Wertschätzung des Therapeuten auszudrücken.

Personenzentrierte Therapie für leidenden Personen

Stell dir vor, du hast eine Wunde und gehst in ein Café. Visualisiere dieses Bild. Niemand sieht die Wunde an deinem Bein; du setzt dich so gut es geht an einen Tisch und schaust dich um, um festzustellen, dass niemand deine Anwesenheit bemerkt. Ganz zu schweigen von deinen Schmerzen. Du leidest im Stillen und bist unsichtbar. Das ist die Erfahrung von Menschen, die leiden und in einem bestimmten Moment eine fatale Entscheidung treffen.

Offensichtlich möchten sie das Leid zurücklassen. Sie brauchen jedoch jemanden, der sie unterstützt, sich einfühlt und ihren Schmerz versteht. Wer mit Suizidgedanken spielt, benötigt mehr als die Diagnose “Depression”. Diese Personen brauchen kein weiteres Etikett, das sagt: “Du leidest.” Was sie suchen und verdienen, ist eine wirksame, schnelle, einfühlsame und sensible Hilfe.

Tom Kitwood, einer der Psychologen, der sich besonders für die Pflege von Menschen mit Demenz eingesetzt hat, erinnert uns daran, dass ein Mensch kein diagnostisches Etikett ist, sondern ein einzigartiges Wesen mit Besonderheiten. Wenn sich jemand ohne Wertung umsorgt und bestätigt fühlt, verändert sich sein mentales Narrativ. Deswegen ist die personenzentrierte Therapie ein sehr nützliches Mittel zur Suizidprävention.

Personenzentrierte Therapie: Was ist das?

Der personenzentrierte Ansatz baut auf das therapeutische Modell des humanistischen Psychologen Carl Rogers auf. Seine Perspektive basierte auf einer Idee: Jeder Mensch ist einzigartig und sein Ziel sollte es sein, ein erfülltes Leben anzustreben, indem er seine Stärken und seine Selbsterkenntnis erweckt. In diesem Zusammenhang hat der Therapeut keine direktive Rolle mehr, sondern wird zu einem Vermittler.

Was bedeutet das? Die Fachkraft ist da, um zuzuhören, zu bestätigen und eine empathische Umgebung zu schaffen, die eine positive Selbstentdeckung ermöglicht. In diesem Gesprächsprozess geht es um das Problem der Person und die Bedürfnisse, die zur Heilung erfüllt werden müssen. Wenn wir diese Art der Therapie auf die Suizidprävention übertragen, können die Vorteile sehr interessant sein.

Diese Ressource konzentriert sich nicht auf das biomedizinische Etikett, d.h. die klinische Diagnose. Sie versucht, diejenigen zu verstehen, die in Hoffnungslosigkeit gefangen sind und keinen Ausweg aus ihrer Notlage sehen. Sie versucht, ihre Besonderheiten zu verstehen und zu respektieren, die Bedeutung ihrer Erfahrungen schrittweise umzugestalten und neue Lebensziele und Bedeutungen zu schaffen.

Ein Mensch ist ein autonomes Wesen, das seine eigenen Entscheidungen trifft, mit einzigartigen Erfahrungen und Eigenheiten, die ihn von anderen unterscheiden. Die Person, die leidet, braucht Verständnis und Bestätigung, um Veränderungen zu erzielen.

Verständnis, Respekt und Kongruenz

Die University of Washington School of Medicine führte 2015 eine Studie über die personenzentrierte Therapie durch. Darin wird dieser Ansatz als zwischenmenschliche Allianz mit einer humanistischen Perspektive definiert, die darauf abzielt, gesunde Veränderungen im Lebensstil des Einzelnen herbeizuführen.

Die Theorie gefällt uns, aber wie sieht es mit der Praxis aus? Wie kann diese Therapie jemandem helfen, der sich selbst verletzt oder darüber nachdenkt, sich das Leben zu nehmen? Schauen wir uns zu diesem Zweck die grundlegenden Achsen dieser Ressource an.

  • Die personenzentrierte Therapie bringt der Person bedingungslose positive Wertschätzung entgegen. Sie wird nicht beurteilt und mit großem Respekt behandelt, damit sie ihre Gefühle und Bedürfnisse frei zum Ausdruck bringen kann.
  • Empathisches Verständnis. Der in der personenzentrierten Therapie geschulte und ausgebildete Therapeut schafft einen Kontext des absoluten Verständnisses und der Wärme gegenüber der Person, die vor ihm steht. Jede Handlung, jeder Gedanke, jedes Gefühl und jede Erfahrung wird gehört und verstanden. Nur so kann eine Veränderung erleichtert werden, die den Betroffenen dabei hilft, sich bestätigt zu fühlen und die Kraft zu finden, ein neues Ziel zu finden.
  • Kongruenz und Authentizität. Die Therapeuten sind zugänglich, menschlich und kongruent. In diesem Fall nehmen sie keine übergeordnete Position ein, sie sind nicht direktiv und üben keine Autoritätsfunktion aus. Sie arbeiten auf der Basis von Verbindung und Nähe.
Traurige Frau benötigt personenzentrierte Therapie
Jugendliche und junge Erwachsene gehören derzeit zu den Bevölkerungsgruppen, die in der Suizidprävention am meisten Aufmerksamkeit benötigen.

Verstehen, um zu begleiten – ein notwendiger Ansatz in der Primärversorgung

Die University of Guelph wies in einer von ihr 2021 veröffentlichten Studie darauf hin, dass Fälle von Selbstverletzung bereits bei Kindern im Alter von 8 Jahren zu verzeichnen sind und im Alter zwischen 10 und 17 Jahren an Häufigkeit zunehmen. Das ist eine Realität, die die Primärversorgung und die Notfallzentren als Herausforderung sehen. Es handelt sich um etwas Komplexes, das nur schwer in den Griff zu bekommen ist.

Hinter der Selbstverletzung steht in der Regel ein psychisches Problem und bei jungen Menschen größtenteils eine schwere Depression oder eine Essstörung. In vielen dieser Fälle haben Selbstverletzer ein 5,5-fach höheres Risiko, Selbstmord zu begehen. Wir benötigen Protokolle für Maßnahmen und Prävention.

Gesundheitsfachkräfte, die diese Jungen und Mädchen betreuen, sollten in der personenzentrierten Therapie geschult werden. Es gibt viele Möglichkeiten, mit ihnen in Kontakt zu treten. Ein Beispiel:“Ich weiß, dass du Angst hast, dass es dir nicht gut geht und dass es dir vielleicht schwerfällt, über diese selbstverletzenden Dinge zu sprechen, aber ich möchte deine Erfahrungen verstehen, wissen, was du denkst, was du fühlst…”

Es gibt tausende von Gründen, warum ein Mensch beschließt, sich das Leben zu nehmen. Es gibt jedoch nur eine Möglichkeit, dies zu verhindern: eine bewusste soziale Gemeinschaft zu schaffen, die in der Lage ist, Nähe zu bieten, zu helfen, zu verstehen und Tabus zu brechen. Dies erfordert sozialpolitische Maßnahmen, Ressourcen, Verpflichtungen und Absichten. Wir alle haben die Verpflichtung, jene Menschen zu unterstützen, die im Stillen leiden.

Hilfe bei Suizidgedanken

Die Telefonseelsorge ist u nter der Nummer 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 rund um die Uhr erreichbar. Sie ist anonym und kostenlos. Weitere Informationen gibt es hier: Telefonseelsorge.


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  • Duberstein, P. R., & Heisel, M. J. (2014). Person-centered prevention of suicide among older adults. In M. K. Nock (Ed.), The Oxford handbook of suicide and self-injury (pp. 113–132). Oxford University Press.
  • Stallman HM. Coping planning: a patient-centred and strengths-focused approach to suicide prevention training. Australas Psychiatry. 2018 Apr;26(2):141-144. doi: 10.1177/1039856217732471. Epub 2017 Oct 2. PMID: 28967263.

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