Tinder und die Liebe: Wenn mehr weniger ist
Dating-Websites sind nichts Neues. Es gibt Dutzende Möglichkeiten mit verschiedenen Schwerpunkten. Schließlich ist die Suche nach einfachem Sex nicht dasselbe wie die Suche nach einem Partner fürs Leben (oder zumindest für einen guten Teil davon). Aber Tinder ist etwas anderes. Diese Dating-App sorgt für Aufsehen. Wir gehen heute der Frage nach, welche Auswirkungen die vielen Wahlmöglichkeiten auf Dating-Plattformen haben.
Tinder ist wie ein Spiel. Du musst nur dein Profil ausfüllen und die App sucht Personen, die in deiner Nähe sind und zu deinem Profil und deinen Interessen passen. Außerdem kannst du anonym abstimmen und ganz einfach per Chat mit anderen Menschen in Kontakt treten, die du treffen möchtest. Die Möglichkeiten, jemanden zu treffen, vervielfachen sich dadurch.
In diesem Zusammenhang stellen sich unweigerlich verschiedene Fragen: Hat es einen Vorteil, so viele Menschen zu treffen und so viele Wahlmöglichkeiten zu haben? Was kannst du dir von einer Person erwarten, die anhand eines Spiels einen Partner finden möchte? Wie kannst du bei so vielen Optionen eine Auswahl treffen?
Die Freiheit zu wählen, macht nicht glücklicher, sondern unzufriedener
Eine große Anzahl von Optionen zu haben, macht es schwierig, sich zu entscheiden. Bei der Partnerwahl so viele Leute auf die Waage zu legen und auf so viele Dates zugreifen zu können, schürt nur Frustration.
Apps wie Tinder eröffnen Menschen die Möglichkeit, sich leichter zu treffen und kennenzulernen und zu sehen, was passiert. Aber so viel Wahlfreiheit zu haben, macht dich nicht freier oder glücklicher: Je mehr du experimentierst und spielst, desto unzufriedener wirst du mit der Dynamik des Systems selbst.
Das liegt daran, dass die Menschen dazu neigen, sich sehr aktiv auf die Dynamik einzulassen und erst den einen und dann den anderen zu daten, nur um dieses Spiel auszuprobieren. Es ist so einfach! Das Horten von Dates ist für viele Nutzer das eigentliche Ziel.
Tinder und das Auswahlparadoxon
Der Psychologe Barry Schwartz ist der Meinung, dass die Wahlfreiheit, die ein zentraler Grundsatz der westlichen Gesellschaften ist, uns nicht freier macht. Vielmehr lähmt sie uns und macht uns unzufriedener. Barry Schwartz bezeichnet dieses Phänomen als Auswahlparadoxon.
Seiner Theorie zufolge ist der Überfluss der freien Wahl schädlich. Im Jahr 2004 veröffentlichte Barry Schwartz sein Buch The Paradox of Choice: Why More is Less (Das Auswahlparadoxon: Warum mehr weniger ist ), in dem er argumentiert, dass fehlende Wahlmöglichkeiten die Ängste der Käufer stark reduzieren können.
Dies gilt auch für die Partnersuche. Auf Tinder sind die Suchenden reine Produkte, die von anderen getestet werden können. Die Möglichkeit, viel auszuprobieren, lädt unweigerlich dazu ein, dies tatsächlich zu tun.
Tinder: Warum uns Wahlmöglichkeiten Schwierigkeiten bereiten
Schwartz integriert mehrere psychologische Modelle des Glücks, die zeigen, wie das Problem der Wahl durch verschiedene Strategien gelöst werden kann. Wichtig ist, dass jede dieser Strategien ihre eigenen psychologischen Komplikationen mit sich bringt.
Wahl und Glück
Schwartz erörtert die Bedeutung gemeinsamer Forschungsmethoden anhand einer Glücksskala. In dieser Hinsicht teilt er die Ideen von David Myers und Robert Lane, die unabhängig voneinander zu dem Schluss kommen, dass der gegenwärtige Überfluss an Wahlmöglichkeiten oft zu Depressionen führt und Gefühle der Einsamkeit hervorruft.
Schwartz weist besonders auf den Preis hin, den die industrialisierte Gesellschaft für den zunehmenden Wohlstand und die Freiheit zahlt, da dies zu einem erheblichen Rückgang der Lebensqualität und der persönlichen Beziehungen führt.
Entscheidungen zweiter Ordnung
Cass Sunstein verwendet den Begriff “Entscheidungen zweiter Ordnung” für Entscheidungen, die einer Regel folgen. Mit der Disziplin, “nach den Regeln” zu leben, lassen sich unzählige problematische Entscheidungen im Alltag vermeiden.
Schwartz zeigt, dass diese Entscheidungen zweiter Ordnung in allgemeine Kategorien unterteilt werden können, die in verschiedenen Situationen wirksam sind: Annahmen, Normen und kulturelle Codes. Jede dieser Methoden ist nützlich, um die breite Palette von Wahlmöglichkeiten zu analysieren, mit denen Menschen konfrontiert sind.
Verpasste Gelegenheiten
Schwartz stellt fest, dass Menschen, die aus vielen Optionen wählen müssen, damit beginnen, hypothetische Kompromisse zu erwägen. Ihre Entscheidungen werden anhand der verpassten Chancen bewertet und nicht anhand des Potenzials der Chance selbst.
Schwartz argumentiert, dass einer der Nachteile von Kompromissen darin besteht, dass sie die Art und Weise verändern, wie wir die Entscheidungen, vor denen wir stehen, sehen. Darüber hinaus beeinflussen sie auch den Grad der Zufriedenheit, den wir mit unserer Entscheidung empfinden.
Während Psychologen schon seit Jahren die schädlichen Auswirkungen negativer Emotionen auf die Entscheidungsfindung kennen, weist Schwartz darauf hin, dass neuere Beweise den gegenteiligen Effekt positiver Emotionen aufzeigen: Im Allgemeinen neigen Versuchspersonen dazu, mehr Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, wenn sie sich glücklich fühlen.
Tinder und der Mensch als Marktprodukt
Einen Partner zu finden oder Freundschaften zu schließen ist nicht dasselbe, wie auf den Markt zu gehen, um Äpfel zu kaufen. Auf dem Markt gehst du um die Stände herum, schaust dir die Äpfel an und überlegst, welchen du mitnehmen möchtest. Du willst die besten, aber sie sind alle sehr hübsch und werden schön präsentiert.
Würdest du jeden Obstverkäufer bitten, dir eine Kostprobe von jedem Apfel zu geben, um zu entscheiden, welcher dir am besten gefällt? Abgesehen davon, dass er sie dir wahrscheinlich nicht umsonst geben würde (geschweige denn, wenn er sieht, dass du an jedem Stand Äpfel probierst), was glaubst du, würde passieren? Möchtest du, dass Menschen dich wie eine Kiste mit Äpfeln behandeln, die sie zusammen mit vielen anderen probieren müssen, um herauszufinden, welcher ihnen am besten gefällt?
Wenn du auf der Suche nach einem Partner oder Freundschaften bist, beginne damit, dir selbst und anderen gegenüber Respekt zu zeigen.
Illustration von Nuria Turiel