Ghosting - Wie geht man mit einem Beziehungsende ohne Ankündigung um?

Ghosting - Wie geht man mit einem Beziehungsende ohne Ankündigung um?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 15. November 2021

Viele von uns lassen andere Menschen nur unter einer Bedingung in ihr Herz: Sie dürfen uns nicht verletzen. Wir treffen Maßnahmen und warnen die anderen, aber trotzdem passiert es und trifft uns mitunter vollkommen unvorbereitet. Das ist beispielsweise bei einem Beziehungsende ohne Ankündigung, beim sogenannten Ghosting, der Fall, wenn jemand seinen Partner von heute auf morgen verlässt und einfach so, wie vom Erdboden verschluckt, verschwindet. Vorher gab es kein „Wir müssen reden“, „Ich melde mich später bei dir“  oder „Es tut mir leid, aber unsere Beziehung hat keine Zukunft mehr“.

Man sagt, dass viele Menschen aus Geschichten gemacht seien, die nicht in einem Rausch von Freude und Glück aufgingen. Dass tatsächlich die meisten von uns ungelöste Probleme mit sich herumtragen würden, unangenehme Überbleibsel aus ihrer Vergangenheit. Manchmal ist das Ganze aber noch komplizierter. Denn es gibt nicht nur Geschichten, die kein gutes Ende finden, sondern solche, die im Schatten jener Menschen, die über Nacht ohne jegliche Erklärung aufbrechen, verschwimmen und gar kein Ende finden.

Wir wissen, dass das nichts Neues ist, aber nun hat man dieser Eigenschaft, Verhaltensweise oder Dynamik einen Namen gegeben: „Ghosting“. Aus dem Leben eines Menschen zu verschwinden – zu dem man bis vor Kurzem noch eine affektive Bindung aufrechterhalten hat -, kommt mittlerweile sehr häufig vor, sodass im Durchschnitt jeder von uns ein oder zweimal auf diese Weise verlassen wird. Oder was noch schlimmer ist, dass sogar wir selbst derjenige sein können, der sich auf diese Weise verhält.

Obwohl häufig gesagt wird, dass es eher eine Kunst von Männern sei, jemanden ohne Ankündigung zu verlassen, sollten wir ein paar Aspekte bedenken, bevor wir diese Hypothese bestätigen. Sich von jemandem ohne jegliche Erklärung zu trennen, ist keine Kunst, sondern zeugt von Missachtung und Unreife. Darüber hinaus sind nicht nur Männer „Ghosts“. Sowohl Männer als auch Frauen trennen sich ohne Vorwarnung, und das noch öfter im Zeitalter der neuen Technologien, wo es möglich ist, eine Beziehung mit einem einzelnen Klick und/oder einem einfachen Blockieren zu beenden.

Frau rennt auf einem Feldweg in Richtung Sonne

Ein Beziehungsende ohne Ankündigung und die aussichtslose Suche nach dem Warum

Es gibt kein Gesetz, das uns vorschreibt, dass wir jemandem das Warum erklären müssten, bevor wir ihn verlassen. Niemand zwingt uns zu diesem letzten Gespräch und dazu, die Gründe für unsere Entscheidung, unsere veränderte Gefühlslage einzeln aufzuzählen. Wir haben auch keinen Vertrag unterschrieben, der uns dazu verpflichten würde, zu erklären, warum unser Herz nicht mehr auf die gleiche Weise schlägt oder wieso wir uns unsere Zukunft mit dieser Beziehung nicht länger vorstellen können.

Das ist richtig; niemand schreibt uns vor, wie wir uns oder wie wir uns nicht in einer Liebesbeziehung verhalten sollten. Dennoch gibt es so etwas wie Anstand, einen moralischen und affektiven Respekt, Reife und Mut. Da diese Prinzipien nicht angeboren sind, müssen sich Menschen immer wieder einem Beziehungsende ohne Ankündigung und dem, was dieses mit sich bringt, stellen.

Obwohl es nicht allzu viel wissenschaftliche Literatur über all diese psychologischen Prozesse gibt, die der Verlassene normalerweise erlebt, können wir dennoch sagen, dass die Dynamik dahinter fast immer gleich ist. Die psychologischen Prozesse sehen folgendermaßen aus:

  • Die Person kann die Beziehung nicht als abgeschlossen akzeptieren. Da es keine eindeutige Erklärung gibt, tritt eine aussichtslose Dynamik ein, bei der immer wieder versucht wird, Kontakt aufzunehmen, um ein Treffen zu arrangieren. All das führt zu noch mehr Angst, zu einer noch größeren Enttäuschung und hat zur Folge, dass es unmöglich ist, diese Phase zu überwinden.
  • Es ist nicht das Gleiche, mit einer Beziehung abzuschließen, bei der man den Grund dafür weiß, oder von einem auf den anderen Tag ohne Ankündigung verlassen zu werden. Zweifel und der Versuch, das Irrationale zu rationalisieren, bringen die betroffene Person oftmals dazu, sich schuldig zu fühlen und zu denken, dass sie selbst der Grund für diese Trennung wäre.
  • Die Zeit des Trauerns kann Monate dauern und sogar endlos sein. Diese offene Wunde, diese ständigen Zweifel erzeugen eine Leere, in der sich Groll, Frustration und Misstrauen breitmachen. Das macht es sehr schwierig, eine neue Beziehung zu beginnen und eine gesunde Beziehung aufzubauen.
Mann schaut traurig aus dem Fenster

Wie gehen wir mit einer Trennung ohne Erklärung um?

Keiner wird grundlos verlassen. Eine Trennung ohne jegliche Erklärung ereignet sich jedoch häufiger, als wir denken, und es ist notwendig, zu wissen, wie man damit umgeht, auf sie reagiert, und was am wichtigsten ist, wie man sie überlebt.

Offensichtliches akzeptieren

Unbeantwortete Anrufe oder Nachrichten. Blockierte Profile in sozialen Netzwerken. Tage, die zu Wochen werden, in denen man absolut gar nichts vom anderen hört. Kontakte, Freunde und Familienmitglieder dieser Personen, die uns meiden und uns Ausreden liefern.

Wir könnten noch weitere Beweise anführen, aber der Gedanke daran, dass man ohne Ankündigung verlassen wurde, wird bereits dadurch untermauert. Wir sollten das Unvermeidbare nicht noch mehr in die Länge ziehen und akzeptieren, was passiert ist: Wir müssen ein Lebewohl aussprechen, da wir vom anderen nichts mehr hören werden.

Den Schmerz anerkennen

Man wird dir sagen „Das geht wieder vorbei“, „Akzeptiere es“  oder „Vergiss diesen Menschen einfach“.  All das wird so auch geschehen – aber erst später. Der erste Schritt dahin ist, uns selbst und unsere Gefühle anzunehmen. Jetzt ist der Moment gekommen, die Wunde anzuerkennen, zu weinen, diesen Schmerz herauszulassen und uns in diesem Scherbenhaufen wiederzufinden.

Wir müssen zulassen, dass uns der Schmerz überkommt und fließt.

Verantwortung übernehmen

Egal, wie sehr wir es versuchen, es wird nicht immer möglich sein, ein Treffen mit dieser Person zu arrangieren, damit sie uns einen Grund für die Trennung nennt. Und das müssen wir einfach akzeptieren: Wir werden gezwungen sein, mit der Trauer zu leben, ohne ein abschließendes Gespräch gehabt zu haben. Wir müssen dieses Kapitel selbst schließen, und das verlangt Mut und Verantwortung von uns ab.

Fliegende Frau mit weißen Tauben

Wir müssen zuallererst Verantwortung für uns selbst übernehmen. Denn bei einem Beziehungsende ohne Ankündigung ist das Letzte, das wir tun sollten, uns selbst zu verlassen. Wir müssen wieder die Zügel für unser Leben in die Hand nehmen und verstehen, dass wir zu 100 % verantwortlich für unsere eigene Heilung sind. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Wir können nicht mehr länger versuchen, den anderen zu kontaktieren, ein neues Treffen zu vereinbaren oder Orte aufsuchen, an denen unser Ex-Partner sein könnte, um ihn zu treffen.

Zeit und Arbeit: Mit dem Schmerz und der Wut umgehen lernen

Wenn es etwas gibt, das uns nach einem Beziehungsende ohne Ankündigung überkommt, dann sind es Schmerz und Wut. Wir müssen verstehen, dass kurzfristig nicht verschwinden werden. Sie sind widerstandsfähig, machen es sich in unserem Inneren bequem und können unser Leben stark beeinflussen.

Daher müssen wir lernen, mit beiden umzugehen. Damit uns das gelingt, ist es ratsam, neue Aktivitäten zu beginnen, die Unterstützung von Freunden und Familie zu nutzen und Projekte anzugehen, die uns begeistern und uns erlauben, jene komplexe Emotionen zu kanalisieren, die unsere Identität untergraben und neues Glück verhindern.

Sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, um zu heilen

Wer mit einer Trennung ohne Erklärung zu kämpfen hat, lebt in der Vergangenheit und im Konditional: Was wäre, wenn ich anders gehandelt hätte? Was wäre, wenn ich dieses oder jenes gesagt hätte? Warum habe ich nicht realisiert, dass …?

Solche Sätze führen unweigerlich dazu, dass wir leiden. Um diesen Schmerz der sich uns immer wieder stellenden Fragen zu überwinden und in unserem Trauerprozess voranzukommen, ist es notwendig, einen Raum für die Gegenwart zu lassen. Wenn wir der Gegenwart offen, resilient und würdevoll begegnen, werden wir es schaffen, mit diesem Schmerz zu brechen, der uns an die Vergangenheit kettet.

Wir müssen schließlich noch eine letzte Aufgabe bewältigen: Wir müssen aus unserem momentanen Leid einen konstruktiven Lernprozess machen. Natürlich sind nur wenige Schmerzen so stark wie die Wunde des Verlassenwerdens, doch unser menschliches Potenzial kann es uns ermöglichen, diesem Leid zu entkommen. Wir können dieses Beziehungsende ohne Ankündigung überleben und weitermachen, weil wir die notwendigen Werkzeuge dafür besitzen.


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