Sorgerecht: Verschiedene Optionen und die jeweiligen Auswirkungen auf die Kinder

Gemeinsames Sorgerecht? Viele Eltern wollen im Falle einer Scheidung eigentlich nicht die Verantwortung für das Kind mit dem Ex-Partner teilen. Aber was sagt die Wissenschaft über diese und andere Optionen?
Sorgerecht: Verschiedene Optionen und die jeweiligen Auswirkungen auf die Kinder

Letzte Aktualisierung: 17. März 2021

Eine Scheidung ist ein Ereignis, das sehr emotional sein und gemischte Gefühle hervorrufen kann. In diesem Zusammenhang widmet die Rechtspsychologie derartigen Prozessen und ihren Auswirkungen auf Kinder besondere Aufmerksamkeit. Wenn sich ein Paar scheiden lässt, entstehen viele Fragen in Bezug auf das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder. Bei wem werden sie leben? Wie oft werden sie den anderen Elternteil sehen?

Im Normalfall haben beide Elternteile das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder. Daran ändert auch eine Scheidung zunächst nichts. Dennoch gibt es in diesem Zusammenhang immer wieder Fragen und Probleme und in schwerwiegenden Fällen sprechen Gerichte auch ein alleiniges Sorgerecht zu.

Trotz allem stehen stets die Interessen und das Wohl des Kindes im Vordergrund. Was sagen Psychologen zu den verschiedenen Optionen? Ist ein alleiniges oder gemeinsames Sorgerecht die beste Option? Welche Auswirkungen hat das alleinige Sorgerecht auf ein Kind? Gibt es unterschiedliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Kindes?

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Gemeinsames oder alleiniges Sorgerecht

Tejeiro und Gómez (2011) führten eine Studie mit dem Titel Divorcio, custodia y bienestar del menor: una revisión de las investigaciones en Psicología (Auf Deutsch: Scheidung, Sorgerecht und Kindeswohl: Ein Überblick über die psychologische Forschung) durch. Ihre Untersuchungen ergaben, dass es Unterschiede in Bezug auf das Wohlbefinden der Kinder gibt, wenn die Eltern das gemeinsame oder ein Elternteil das alleinige Sorgerecht innehat.

Beide Autoren bestätigten, was Bauserman (2002) nach einer Analyse von 33 Studien mit den besten parametrischen Werten feststellte: Kinder, die bei Eltern aufwuchsen, die das gemeinsame Sorgerecht hatten, waren besser angepasst als Kinder, die in alleiniger Obhut eines Elternteils heranwuchsen. Zu diesem Zweck verglich er diese Kinder mit jenen, die bei beiden Elternteilen aufwuchsen, die noch miteinander verheiratet waren.

Einige Unterschiede zwischen diesen beiden Sorgerechtsoptionen sind folgende:

  • Beide Eltern sind mehr involviert, wenn sie das gemeinsame Sorgerecht haben.
  • In Familien mit gemeinsamem Sorgerecht traten weniger Depressionen auf.
  • Kinder, die nur bei einem Elternteil aufwuchsen, welches das alleinige Sorgerecht hatte, hatten mehr emotionale Probleme.
  • In Fällen, in denen ein gemeinsames Sorgerecht bestand, gab es mehr Geschwisterrivalität und die Kinder hatten ein größeres Selbstwertgefühl.
  • Kinder hatten das Gefühl, vom nicht erziehungsberechtigten Elternteil abgelehnt zu werden.
  • Beim gemeinsamen Sorgerecht hatten die Kinder ein besseres Selbstkonzept, konnten besser mit Emotionen umgehen und die Beziehung zu den Eltern war besser.

Dennoch ergaben andere Studien, dass beide Sorgerechtsoptionen die emotionale Gesundheit von Kindern beeinträchtigten.

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Die Auswirkungen, die das gemeinsame Sorgerecht für die Familie hat

Das gemeinsame Sorgerecht scheint nicht nur für Kinder, sondern auch für die geschiedenen Eltern die beste Option zu sein. Dies ist die Meinung von Marín Rullán (2015), die feststellte,  dass ein geringes Maß an Zwietracht und ein höheres Maß an Kommunikation zu einer besseren Beziehung mit den Eltern führen. Infolgedessen sind diese dann auch zufriedener als andere Eltern.

Allerdings wirken sich Streitigkeiten zwischen den Eltern negativer auf die Kinder aus. Daher hängt ihr Wohlbefinden davon ab, wie gut die Eltern miteinander auskommen. Obwohl die meisten Menschen der Meinung sind, dass das gemeinsame Sorgerecht das Beste für das Kindeswohl ist, bedeutet diese Option auch mehr Kontakt zwischen den beiden Elternteilen. Infolgedessen gibt es auch mehr Konfliktpotenzial, wodurch sich die Beziehung verschlechtern könnte. Aber Tejeiro und Gómez untersuchten auch diese Variable und fanden heraus, dass das gemeinsame Sorgerecht dazu führt, dass die beiden Elternteile weniger streiten.

Weitere Bedenken in Bezug auf das gemeinsame Sorgerecht bestehen darin, dass diese Situation die geschiedenen Eltern dazu nötigt, sich hin und wieder zu begegnen. Dies wiederum würde das Heilen vergangener Beziehungswunden erschweren. Allerdings deuten verschiedene Studien darauf hin, dass diese Angst unbegründet ist. Denn nach Angaben von Pearson und Thoennes (1990) nimmt die Distanz zwischen beiden Elternteilen tendenziell nach zwei Jahren zu, unabhängig von der Art des Sorgerechts.

Wie erging es diesen Familien 12 Jahre später?

Diese Frage stellten sich Emery, Laumann, Waldron, Sbarra und Dillon (2001), als sie sich dazu entschieden, herauszufinden, was aus den Familien geworden war, die sich für das gemeinsame oder das alleinige Sorgerecht entschieden hatten. In den Familien, in denen ein Elternteil das alleinige Sorgerecht bekommen hatte, gab es zwischen den Eltern mehr Konflikte. Unter den vielen Erkenntnissen, die sie gewannen, war eine besonders bemerkenswert: Die Eltern, bei denen ein Elternteil das alleinige Sorgerecht erhalten hatte, waren überhaupt nicht mehr am Leben des ehemaligen Partners interessiert.

Außerdem fanden sie heraus, dass Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht mehr Veränderungen in ihrem Leben vorgenommen hatten. Infolgedessen hatte sich auch das Leben der Kinder stärker verändert. Allerdings führte dies nicht automatisch zu mehr Konflikten zwischen den Eltern. Es ging mehr um Aspekte wie Flexibilität und Zusammenarbeit.

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Die Auswirkungen auf die Anpassung des Minderjährigen an das Leben

Bauserman misst in seiner Meta-Analyse Child Adjustment in Joint-Custody Versus Sole-Custody Arrangements: A Meta-Analytic Review (auf Deutsch: Anpassung von Kindern bei gemeinsamem Sorgerecht im Vergleich zu alleinigem Sorgerecht: Eine Meta-Analyse) den Grad der Anpassung von Kindern bei verschiedenen Sorgerechtsvarianten. Anpassung bedeutet in diesem Zusammenhang:

  • Verhaltensanpassung und Verhaltensstörungen
  • Emotionale Anpassung: Depressionen, Angstzustände, Probleme in Bezug auf das eigene Selbstverständnis usw.
  • Selbstwertgefühl
  • Familiäre Beziehungen
  • Schulische Leistungen

Die Tatsache, dass all diese Aspekte bei Kindern mit Eltern, die das gemeinsame Sorgerecht hatten, besser waren, stützt die Theorie, dass das gemeinsame Sorgerecht einen besseren Einfluss auf das Leben eines Kindes hat.

Gemeinsames Sorgerecht, gut für das Kindeswohl, aber auch kompliziert

Nach einem komplizierten und schmerzhaften Prozess fragen sich viele Menschen, welche Option am besten ist. Vielleicht haben die Eltern wirklich nur das Wohl des Kindes im Blick und wollen ihm ein möglichst normales Leben ermöglichen. Aber dennoch sehen sie keine Möglichkeit, wie sie das gemeinsame Sorgerecht umsetzen können.

In diesem Zusammenhang sieht Marín Rullán vier Faktoren, die zum Gelingen oder Scheitern führen können:

  • Engagement und Bemühungen, die über das hinausgehen, was das Gericht sagt.
  • Unterstützung des anderen Elternteils. Es ist sehr wichtig, die Bindung des Kindes zum anderen Elternteil zu respektieren.
  • Flexible Aufteilung der Verantwortlichkeiten.
  • Psychologische Merkmale. Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit sind Eigenschaften empathischer Menschen; weniger verletzlich und positive Einstellung zur Elternrolle.

Wenn man die Erfahrungen von Eltern und Kindern berücksichtigt, geht es nicht mehr um die Frage nach der besten Option. Stattdessen sollte die Frage lauten: Wie kann man Eltern die nötigen Fähigkeiten vermitteln, damit sie ein gemeinsames Sorgerecht bestmöglich umsetzen können?


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  • Bauserman, R. (2002) Child Adjustment in Joint-Custody Versus Sole-Custody Arrangements: A Meta-Analytic Review. Journal of Family Psychology, 16(1), 91-102.
  • Emery, R., Laumann, L., Waldron, M., Sbarra, D. & Dillon, P. (2001). Child Custody Mediation and Litigation: Custody, Contact, and Coparenting 12 Years After Initial Dispute Resolution. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 69(2), 323-332.
  • Marín Rullán, M. (2015). La influencia de las actitudes parentales sobre el bienestar del menor y la elección preferente de la custodia compartida: una disertación. Psicopatología Clínica, Legal y Forense, 15, 73-89.
  • Tejeiro, R. y Gómez, J. (2011) Divorcio, custodia y bienestar del menor: una revisión de las investigaciones en Psicología. Apuntes de Psicología, 29(3), 425-434.

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