Warum Teenager nicht auf die Stimme ihrer Mutter hören

Hört dein Teenager nicht auf dich? Das könnte mit den Veränderungen in seinem Gehirn zusammenhängen. Erfahre mehr darüber!
Warum Teenager nicht auf die Stimme ihrer Mutter hören
Cristina Roda Rivera

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Cristina Roda Rivera.

Letzte Aktualisierung: 03. November 2022

Teenager hören lieber anderen Menschen zu, deshalb blenden sie die Stimme ihrer Mutter einfach aus. Dies ist die Schlussfolgerung einer Studie, die mit früheren Erkenntnissen übereinstimmt. Diese Hypothese könnte erklären, warum sich in der Adoleszenz die Beziehung zwischen Mutter und Kind radikal verändert.

Für viele Mütter sind die Veränderungen ihrer Teenager eine Erleichterung, andere wiederum erleben diese Phase wie einen Trauerprozess, da die Jahre der Kindheit und der intensiven Beziehung zurückbleiben. So wie sich eine Mutter auf die Geburt ihres Kindes vorbereitet, ist es auch ratsam, sich auf bestimmte vorhersehbare evolutionäre Veränderungen vorzubereiten. Dies hilft Müttern, aktiv statt reaktiv zu sein und mit der Situation besser umzugehen.

Die genannte Studie, die wir uns anschließend etwas genauer anschauen, kommt zu dem Schluss, dass Teenager ihre Mütter nicht bewusst ignorieren. Es handelt sich vermutlich um ein biologisches Phänomen: Sie nehmen die Stimme ihrer Mutter nicht mehr so wahr wie in ihrer Kindheit.

Warum Teenager nicht auf die Stimme ihrer Mutter hören
Teenager schalten die Stimmen ihrer Mütter aus, weil sie sich auf neue einstellen.

Teenager hören die Stimme ihrer Mutter nicht

Die Gehirne von Teenagern empfinden die Stimmen ihrer Mütter nicht mehr als belohnend, wie aus einer im Journal of Neuroscience veröffentlichten Studie hervorgeht. Die Studie, an der Mütter und Kinder teilnahmen, nutzte funktionelle MRT-Scans (die aktive Hirnregionen in Bildern zeigen), um die erste detaillierte neurobiologische Erklärung dafür zu liefern, wie Heranwachsende beginnen, sich von ihren Eltern zu lösen.

An der Untersuchung nahmen 46 Kinder im Alter von 7 bis 16 Jahren teil. Die Forscher hatten die Möglichkeit, die Gehirnaktivitäten der Kinder zu beobachten, während sie Sprachaufnahmen ihrer Mütter und auch von unbekannten Frauen hörten.

Die Studie konnte eine detaillierte neurobiologische Erklärung dafür liefern, wie Jugendliche beginnen, sich von ihren Eltern zu lösen. “So wie ein Baby weiß, wie es sich auf die Stimme seiner Mutter einstellen kann, weiß ein Jugendlicher, wie er sich auf neue Stimmen einstellen kann“, so der Hauptautor der Studie, Daniel Abrams, PhD, klinischer außerordentlicher Professor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften.

Gehirnbilder erklären die Loslösung der Teenager von den Eltern

Wie wir alle wissen, hat die Adoleszenz eine Verschiebung der sozialen Zielorientierung weg von der Familie zur Folge. Für Jugendliche ist es wichtig, sich in den Augen ihrer Altersgenossen hervorzutun. Sie verbringen immer mehr Zeit außer Haus und weniger mit ihren Eltern.

Bisher war wenig über die neurobiologischen Signaturen dieser Veränderungen bekannt. Die funktionelle Bildgebung des Gehirns war jedoch sehr aufschlussreich. Die Verarbeitung der menschlichen Stimme bei Kindern und Jugendlichen (im Alter von 7-16 Jahren) ergab bei der Stimme der Mutter und bei fremden Stimmen unterschiedliche neuronale Signaturen. Diese Belohnungs- und sozialen Bewertungssysteme befinden sich im Nucleus accumbens und im ventromedialen präfrontalen Kortex.

Während jüngere Kinder beim Hören der Stimme der Mutter eine erhöhte Aktivität in diesen Gehirnsystemen aufweisen, wurde bei Jugendlichen der gegenteilige Effekt festgestellt: Die Aktivität ist bei unbekannten Stimmen größer.

Die Veränderung der Reaktion auf die Stimme der Mutter ist dramatisch

Ein Wissenschaftlerteam von Stanford hat herausgefunden, dass im Gehirn von Kindern unter 12 Jahren das Hören der Stimme der Mutter eine Explosion einzigartiger Reaktionen auslöst.

Die Veränderungen sind so offensichtlich, dass das Forscherteam das Alter eines Kindes allein anhand der Reaktion des Gehirns auf die Stimme der Mutter bestimmen konnte.

Eine 2016 veröffentlichte Studie zeigte, dass Kinder die Stimmen ihrer Mütter mit sehr hoher Genauigkeit identifizieren können. Ihr spezieller Klang signalisiert nicht nur die auditiven Verarbeitungsbereiche des Gehirns, sondern auch viele Bereiche, die durch unbekannte Stimmen nicht aktiviert werden. Zum Beispiel werden Belohnungszentren, emotionsverarbeitende Regionen, visuelle Verarbeitungszentren und Gehirnnetzwerke aktiviert, die entscheiden, welche eingehenden Informationen wichtiger sind.

Warum Teenager nicht auf die Stimme ihrer Mutter hören
Kinder können die Stimmen ihrer Mütter sehr genau erkennen.

Sind sich Teenager bewusst, was sie tun?

“Hörst du mich?” Das ist eine Frage, die Eltern ihren abgelenkten Teenagern oft stellen, und die Antwort lautet wahrscheinlich: “Nein.” Viele Mütter sind traurig, weil sie sich ignoriert fühlen; ein Gefühl, das noch verstärkt wird, wenn sie die Gegenwart mit den Jahren vergleichen, in denen die Mütter im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihrer Kinder standen.

Auf der anderen Seite ist es für Teenager schwierig zu erkennen, dass sie sich verändern. In der Regel wird ihnen das erst bewusst, wenn die neue Dynamik schon einige Zeit besteht.

Sie beginnen einfach, sich mit den Menschen zu beschäftigen, mit denen sie die meiste Zeit in ihrem Leben verbringen: Sie haben Freunde und Gleichaltrige, mit denen sie in Kontakt sein wollen. Ihr Verstand wird immer empfindlicher und fühlt sich von diesen unbekannten Stimmen angezogen. Belohnungsschaltkreise und Gehirnzentren, die wichtigen Reizen Priorität einräumen, werden durch diese ungewohnten Stimmen stärker aktiviert. Außerdem ist die Aktivierung des Gehirns durch neue Stimmen ein Phänomen, das mit der normalen Reifung auf biologischer Ebene zusammenhängt.

“Ein Kind wird irgendwann unabhängig, und das muss durch ein zugrunde liegendes biologisches Signal ausgelöst werden. Es ist ein Signal, das Heranwachsenden hilft, sich in der Welt zurechtzufinden und Verbindungen zu knüpfen, die es ihnen ermöglichen, auch außerhalb ihrer Familie sozial versiert zu sein”, sagt der Hauptautor der Studie, Vinod Menon.


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  • Abrams, D. A., Chen, T., Odriozola, P., Cheng, K. M., Baker, A. E., Padmanabhan, A., … & Menon, V. (2016). Neural circuits underlying mother’s voice perception predict social communication abilities in children. Proceedings of the National Academy of Sciences113(22), 6295-6300.
  • Abrams, D. A., Mistry, P. K., Baker, A. E., Padmanabhan, A., & Menon, V. (2022). A Neurodevelopmental Shift in Reward Circuitry from Mother’s to Nonfamilial Voices in Adolescence. Journal of Neuroscience42(20), 4164-4173.

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