Wie ein befreiendes emotionales Weinen unsere Seele heilen kann

Wie ein befreiendes emotionales Weinen unsere Seele heilen kann

Letzte Aktualisierung: 02. Januar 2017

Es gibt Menschen, die im Stillen für einen kurzen Moment und in diskreter Einsamkeit weinen. Doch um uns emotional gesehen Erleichterung zu verschaffen, uns von Traurigkeit, Frust und Druck zu befreien, brauchen wir dieses befreiende emotionale Weinen. Eine wahrhaftige Erleichterung ist nur mithilfe dieser Tränen möglich, die einen ganzen Ozean füllen und die von einer zittrigen Stimme begleitet werden.

Experten auf dem Gebiet der Psychobiologie sagen uns, dass uns nur wenige Taten so menschlich machen würden, wie ein Lachen oder ein Weinen. Tatsächlich haben diese beiden emotionalen Ausdrücke vieles gemeinsam. Sie verfügen beispielsweise über eine „beharrliche“ Komponente. Das bedeutet Folgendes: Sobald wir beginnen, zu lachen oder zu weinen, tun wir das eine bestimmte Zeit lang und können nicht einfach damit aufhören. Außerdem zielen beide auf ein und dasselbe ab: Wir sollen uns dadurch besser fühlen.

Die Seele ermüdet, wenn sie ihren Tränen freien Lauf lässt, aber der Schmerz braucht das Weinen, um wirkliche Erleichterung zu finden.

Andererseits wissen wir alle, dass dieses befreiende emotionale Weinen – dieses Weinen, durch welches wir Seelenfrieden finden – von der Gesellschaft nicht gern gesehen wird. Aber ein diskretes Weinen, das durch eine politische Rede, aufgrund von Stolz oder Rührung entsteht, wird schon eher akzeptiert.

Vielleicht vermeidet der Großteil von uns gerade deswegen das sogenannte „stimmlaute Weinen“. Es erscheint immer angebrachter, sich einen Platz im Dunklen zu suchen, wo uns niemand sieht und wir ungestört sind, um unseren Tränen freien Lauf zu lassen. Nicht dass uns noch jemand hört, sieht und herausfindet, dass wir nicht so stark sind, wie wir vorgeben zu sein.

Psychiater und Neurobiologen bringen allerdings eine Sache auf den Punkt: Die Erleichterung, sei es durch Weinen im Stillen oder in Gegenwart anderer, sollte authentisch und befreiend sein. Alles, was eine gewisse „Selbstbeherrschung“ bedeutet, wird weiterhin Druck und Stress zur Folge haben. Der Mensch muss einfach weinen.

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Das befreiende emotionale Weinen ist in vielerlei Hinsicht gewinnbringend

Die meisten Babys weinen, wenn sie zur Welt kommen. Aber ihr Weinen sind nur Schreie ohne Tränen. Der Mechanismus im Gehirn, der dafür verantwortlich ist, dass Tränen aus ihren Tränendrüsen sezerniert werden, ist noch nicht ausgereift. Dennoch haben ihre Schreie schon eine unabdingbare biologische Funktion: Sie gewährleisten ihr Überleben, weil sie sich damit mit ihren Eltern verbinden, um Aufmerksamkeit, Fürsorge, Trost und Zuneigung zu bekommen.

Je älter und reifer wir werden, desto mehr erfüllt unser Weinen so weitere, interessante wie auch nützliche Funktionen: Einer der größten Vorteile des Weinens ist, dass es den Organismus von Giftstoffen befreit, die durch Stress und Ängstlichkeit erzeugt werden. Es muss uns dafür weder etwas Negatives widerfahren sein, noch müssen wir traurig oder trostlos sein. Manchmal weinen wir einfach, weil wir erschöpft sind, und dieses Weinen ist äußerst gesund.

Die Schule für Psychiatrie der University of California in Los Angeles (Kalifornien, USA) erklärt uns in einer Studie, dass unser Weinen eine Hinweisfunktion besitze. Es gleiche einer Aufforderung, dem eigenen Bewusstsein Beachtung zu schenken. Es gäbe Phasen, in denen wir frustriert oder niedergeschlagen wegen etwas sind, worauf wir reagieren sollten, das aber nicht tun. Aber wenn wir uns selbst erlauben, zu weinen, setzt das feine biologische Mechanismen in Gang, damit wir selbst die Dinge klarer sehen können.

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Wissenschaftler sind der Meinung, dass ein befreiendes emotionales Weinen im Grunde genommen eine außergewöhnliche evolutionäre Innovation sei. Es gehe nicht nur darum, den Tränen freien Lauf zu lassen. Ein authentisches Weinen, das uns eine vollkommene Erleichterung verschaffe, aktiviere die Funktion der Neurotrophine. Das seien bestimmte Proteine, die dazu fähig sind, die Neuroplastizität zu begünstigen.

Um es mit anderen Worten auszudrücken, „repariert uns“ das Weinen. Wir können dadurch Neues lernen und es hilft uns dabei, kreativer zu sein und neue Verhaltensweisen zu verinnerlichen, die es uns ermöglichen, uns unserem Umfeld wesentlich besser anzupassen.

Weinen, Verletzlichkeit und Trost

Die große Verantwortung am Arbeitsplatz kann zum Beispiel zur Folge haben, dass wir Momente brauchen, in denen wir allein sein müssen, um kurz zu weinen. Ärzte, Krankenschwestern, Feuerwehrmänner, Polizeikräfte und viele anderen Berufstätige benötigen Momente abseits des Dramas, um sich von dem Druck ihres Arbeitsalltags zu befreien. Allerdings sind diese Momente nicht immer ausreichend. Es gibt keine richtige „Reparatur“. Nach und nach erscheinen Überbelastung, Blockaden, Ängstlichkeit usw. Und dieser Kummer raubt die Luft zum Atmen.

Das Gleiche passiert auch mit den Problemen des Alltags, mit Worten, die heruntergeschluckt, mit Verlusten, die nicht verarbeitet werden, mit dem Schmerz, der zwar erdrückend ist, wo wir aber trotzdem versuchen, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Wieso fällt es uns nur so schwer, um Hilfe zu bitten? Wieso fühlen wir uns wegen dieses befreienden emotionalen Weinens in Gegenwart anderer so verletzlich?

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Anderen zu helfen ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht

Die Realität ist so schmerzlich wie offensichtlich: Nicht jeder kann anderen helfen. Mit Worten, wie „Und wieso weinst du jetzt?“  oder „Komm schon, es gibt doch wirklich Wichtigeres!“  erreichen wir nur, dass wir unseren Gegenüber noch mehr blockieren, negative Gefühle und Niedergeschlagenheit verstärken.

  • Wenn wir jemanden brauchen, der uns dabei hilft, diese emotionale Befreiung zu erleichtern, ist es ratsam, sich dafür den richtigen Menschen auszusuchen. Nicht jeder ist dafür geeignet oder beherrscht angemessene Strategien, die er uns mit auf den Weg geben kann, damit das, was schmerzt und uns belastet, verschwindet. Gute Freunde und selbstverständlich auch Psychologen können dafür die beste Anlaufstelle sein.
  • In Gegenwart einer anderen Person emotional zu weinen ist kein Zeichen für Schwäche oder Verletzlichkeit. Es ist der Schritt, den ein starker Mensch macht, um sich in Bezug auf Anspannung, Angst und Traurigkeit Erleichterung zu verschaffen. Wir tun das, weil wir die zerbrochenen Teile unserer selbst mithilfe eines anderen Menschen wieder zusammenfügen wollen.
  • Hilfe zu leisten bedeutet daher nicht, jemanden einfach nur zu umarmen und zu sagen: „Alles wird gut.“  Es bedeutet, intuitiv vorzugehen mit dem Ziel, diese emotionale Erleichterung zu vereinfachen und zu wissen, wie wir dem anderen damit helfen können. Zu sagen „Ich bin bei dir“, ohne etwas vom anderen zu verlangen oder ihn zu verurteilen, ist die richtige Hilfestellung. In Gegenwart dieser Person müssen wir diskret sein und Nähe spenden.

Zusammengefasst heißt das, dass wir es brauchen, uns selbst einzugestehen, dass wir weinen dürfen, wenn uns danach ist, auch wenn es uns schwerfällt, uns diese Augenblicke der ehrlichen emotionalen Erschöpfung einzugestehen. Aber unsere Seele dadurch zu heilen, ist eine biologische und psychologische Notwendigkeit. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Gefühl, das zum Ausdruck gebracht wird, bedeutet, dass wir es hinter uns gelassen haben.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.