Ich bin mein eigenes Buch: Ich schreibe, überarbeite und füge neue Kapitel hinzu

Ich bin mein eigenes Buch: Ich schreibe, überarbeite und füge neue Kapitel hinzu
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 17. Januar 2023

Jeder von uns verfasst sein eigenes Buch. Wir haben die Fähigkeit, unser Leben selbst neu zu schreiben, unsere Identität neu zu definieren und sogar die Seiten aus unserem Buch des Lebens zu entfernen, die weniger schön geschrieben sind. Vielleicht jene Seiten, die schmerzen und die uns belasten. Auch können wir mal eine Seite leer lassen. Uns Raum geben, um ein neues Kapitel zu beginnen…

Jorge Luis Borges sagte, dass es Menschen gäbe, die sich keine Welt ohne Vögel vorstellen könnten, und andere, die sich keine Welt ohne Wasser vorstellen könnten. Und dann noch die, die sich keine Welt ohne Bücher vorstellen könnten. Nun, jedes Buch, das wir gelesen haben, lehrt uns, dass wir alle Geschichten schreiben. Das Dasein ist magisch: Wir können uns zu den Autoren einer Geschichte machen, die jeden Tag geschrieben wird.

„Das Abenteuer des Lebens ist es, zu lernen. Der Sinn des Lebens ist es, zu wachsen. Die Natur des Lebens ist Veränderung.“

William Ward

Aber hier liegt auch eines unserer größten Probleme: Wir beginnen, zu denken, dass wir eine einzige Geschichte mit der klassischen, vorhersehbaren Struktur aus Einführung, Höhepunkt und Schluss verfassen müssen. Doch niemand hat uns gezwungen, zu akzeptieren, dass unser eigenes Buch uns seine Kapitel einer logischen Reihe folgen müssten: Es gibt Kapitel, die auf halbem Wege enden. Es gibt Absätze, die wir löschen und neu schreiben. Und es gibt eine Menge Seiten, die wir einfach besser ganz ausreißen, damit die Handlung mehr Sinn macht. Und wir sollten daran denken, dass die Geschichte unseres Lebens nur für eine Person vollkommen Sinn ergibt: für uns selbst.

Jede Erfahrung, jede Interaktion, jede getroffene Entscheidung, jedes Gefühl, jede Berührung, jeder Schauer – alles, was wir erfahren, hat eine persönliche Bedeutung für uns, die niemand sonst vollständig verstehen wird.

In unserem Chaos regiert die uns eigene Logik und in unserer persönlichen Geschichte gibt es Kapitel, die nur der von uns definierten Reihe folgen. Wenn wir immer wieder neu anfangen, verfassen wir den besten Roman, der jemals geschrieben wurde: unser eigenes Buch.

Lesende Frau im Sessel

Wenn wir keine andere Wahl haben, als die Geschichte unseres Lebens neu zu schreiben

Joan Didion ist eine bekannte Schriftstellerin, die von manchen als „der weiße Wal des amerikanischen Essays“ bezeichnet wird. Sie ist jetzt 83 Jahre alt und hat ursprünglich mit dem Schreiben angefangen, um etwas sehr Interessantes zu tun: Sie versuchte, ihre Lieben wieder zum Leben zu erwecken. Im Dezember 2003 kamen sie und ihr Ehemann aus dem Krankenhaus zurück, nachdem sie ihre kranke Tochter besucht hatten. Dann, ganz plötzlich, verstarb Didions Ehemann, der Schriftsteller John Gregory Dunne, im Wohnzimmer ihres Hauses. Nur ein paar Monate später würde ihre Tochter ihm folgen, nachdem sie einer Lungenentzündung erlegen war.

Joan Didion schrieb 88 Tage lang. Sie schrieb non-stop, und es stellte sich heraus, dass sie in dieser Zeit ihr bekanntestes Buch verfasste: Das Jahr magischen Denkens.

Sowohl Psychiater als auch Anthropologen definieren „magisches Denken“ als eine Geisteshaltung, bei der die Menschen zu glauben beginnen, dass ihre Gedanken beeinflussen könnten, wie Dinge geschehen. Joan Didion hoffte, dass ihre Familie wieder zu ihr zurückkehren könnte, dass sie wieder ins Leben kommen würden…

Nichts davon ist passiert. Aber nachdem sie das Buch veröffentlichte, hatte Didion verstanden, dass es an der Zeit war, ein neues Kapitel in ihrem Leben zu beginnen. Ein echtes Kapitel. Das Schreiben hatte als eine Art Katharsis funktioniert, eine Möglichkeit, mit dem Schmerz fertig zu werden.

Das Leben ging weiter, wenn auch nur sehr langsam, da ihre Lieben nicht mehr da waren. Nach ihrer Aussage könnte sie “den Rhythmus der Existenz genauso definieren, wie [sie] ihn in den Welten und Sätzen fand, die [sie] geschrieben“ hat.

Baum, der auf einem Buch wächst

Drei Wege, um unser Leben umzuschreiben und die Zukunft zu umarmen

Am Anfang haben wir gesagt, wie wichtig es ist, leere Seiten in unserem Buch zu haben. Diese makellosen, perfekten, leeren Seiten sind unsere Chance, eine Zukunft voller neuer Möglichkeiten zu schaffen. Platz für weitere Kapitel – neue, spannende und glücklichere Kapitel.

Jeder Tag ist eine leere Seite, auf der du deine eigene Geschichte schreiben kannst.

Aber es ist leicht, diese wertvolle Gelegenheit zu übersehen. Die Möglichkeit, unserem eigenem Buch eine neue Richtung zu geben. Eine traumatische Kindheit, eine Familienkrise, Untreue oder ein Verlust können uns manchmal denken lassen, dass unsere Geschichte mit diesem letzten, tödlichen Kapitel geendet habe.

Als nächstes schauen wir uns drei Strategien an, die uns helfen können, in solch einer Situation unsere Perspektive zu ändern.

Frau betritt ihr eigenes Buch

Kapitel neu interpretieren und neu Abschnitte schreiben

Der erste Schritt besteht darin, einige Kapitel zu überarbeiten. Nimm eine objektive Bewertung der Erzählung deines Lebens vor. Von der Kindheit bis zur Gegenwart. Tappe während dieser ersten Phase nicht in die Falle, andere für Dinge verantwortlich zu machen, die dir passiert sind. Lasst uns nicht das Schuldspiel spielen. Wir sollten uns nur auf uns selbst konzentrieren, darauf, wie wir uns in jedem Teil unseres Lebens sahen und sehen.

Reinigung. In dieser zweiten Phase gehen wir davon aus, dass eine Veränderung der Vergangenheit unmöglich ist. Aber was wir tun können, ist, die Einstellung, die wir gegenüber unserer Vergangenheit haben, zu verändern. Es ist Zeit, zu akzeptieren und zu vergeben. Und vor allem, die Last unserer vergangenen Schmerzen von unseren Schultern zu nehmen.

Die dritte Stufe dieses Prozesses ist etwas Besonderes. Füge dem Buch deines Lebens neue leere Seiten hinzu. Du kannst dies auf viele verschiedene Arten tun. Es ist aufregend. Denn wir reden über Neuanfänge, die Möglichkeit, zu experimentieren und uns neue Dinge zu erlauben. Neue Freunde, neue Projekte, neue Orte, neue Hobbys… Wenn wir älter werden, lernen wir etwas, das sehr wichtig ist: Neue Anfänge sind Teil des Lebens.

Lasst uns mutig sein und die Geschichte schreiben, die wir wollen. Unser eigenes Buch.

Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von SIUM und Soizick Meister


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.