"Quiet Ambition": Authentizität, Introvertiertheit und Bescheidenheit im Berufsleben

Dieses wachsende Phänomen deutet darauf hin, dass Führungs- und Managementpositionen für viele nicht mehr ein motivierendes Ziel sind.
"Quiet Ambition": Authentizität, Introvertiertheit und Bescheidenheit im Berufsleben
Sharon Laura Capeluto

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Sharon Laura Capeluto.

Letzte Aktualisierung: 21. April 2024

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wehren sich zunehmend gegen die Vorstellung, vorgegebene und aufgezwungene Leistungen rein aus Pflichterfüllung zu erbringen. Es reizt sie nicht länger, bestimmte Ziele oder einen bestimmten Status zu erreichen, wenn diese nicht mit ihren wahren Werten und Bestrebungen übereinstimmen. In diesem Zusammenhang steht “Quiet Ambition” (dt. stiller Ehrgeiz) für Authentizität, Introvertiertheit und Bescheidenheit. Diese Eigenschaften ermöglichen es, geistige Ruhe zu bewahren, eine ausgewogene Work-Life-Balance zu erreichen und Zeit sowie Energie effektiv einzusetzen und zu kontrollieren.

“Quiet Ambition”: Neue Strategien auf dem Weg zum Ziel

“Quiet Ambition” ist ein Phänomen, das einen Paradigmenwechsel im Arbeits- und Privatleben widerspiegelt. Es geht um die Tendenz, Karriere und Führungspositionen nicht in den Vordergrund zu stellen, sondern sich prioritär um die körperliche und geistige Gesundheit zu kümmern. Der Begriff “Quiet Ambition” wurde 2023 in einem Artikel der Zeitschrift Fortune geprägt und später von Visier in einer Studie analysiert. Die Ergebnisse? Nur 9 % der Befragten streben eine Führungsposition an und 4 % eine leitende Position.

Viele junge Erwachsene haben gesellschaftliche Erwartungen, die von den konventionellen Lebensweisen abweichen. Ihr Konzept von Erfolg und Aufstieg hängt nicht mehr ausschließlich von einer traditionellen Karriere in einem Unternehmen ab. Das bedeutet nicht, dass es ihnen an Ehrgeiz fehlt; vielmehr definieren sie Erfolg anders. Ihr Streben gilt einem erfüllten Leben, das nicht allein von ihrer beruflichen Laufbahn und konventionellen Erfolgsmustern abhängt.

Natürlich können wir dieses Phänomen nicht verallgemeinern, doch wir sehen uns einige häufige Argumente an, die viele jungen Menschen davon abhalten, eine konventionelle Berufskarriere anzustreben:

1. Zu viel Stress

Für die Generation Z ist die psychische Gesundheit eine Priorität. Schon in jungen Jahren haben sie die psychologischen und emotionalen Auswirkungen des Technologiebooms erlebt. Heute ziehen sie es vor, stressige Situationen so weit wie möglich zu vermeiden.

Wenn eine Beförderung mit Überstunden oder erhöhter Arbeitslast und Verantwortung einhergeht, bevorzugen sie andere Möglichkeiten, die keinen unnötigen Stress auslösen.

2. Neudefinition von Erfolg

Die Bedeutung von Erfolg ist für jeden Menschen anders. Manche Menschen schätzen sie glücklich, wenn sie regelmäßig um 17:00 von der Arbeit abschalten und sich anderen Dingen widmen können. Andere hingegen engagieren sich für ihre berufliche Laufbahn und sind bereit, ihre Freizeit zu opfern, um Erfolg zu ernten.

Viele definieren Erfolg neu, indem sie sich darauf konzentrieren, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist, anstatt konventionellen Erwartungen den Vorrang zu geben.

3. Ausgewogene Work-Life-Balance

In der bereits erwähnten Studie betrachten 63 % der Befragten die Work-Life-Balance als eine nicht verhandelbare Anforderung. Der Ausgleich zwischen Berufs- und Privatleben zählt zu den häufigsten Gründen für das Phänomen “Quiet Ambition”. Immer weniger Menschen sind bereit, ihre Freizeit zu opfern, nur um die Karriereleiter zu erklimmen.

4. Misstrauen gegenüber traditionellen Hierarchien

In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt misstrauen nicht wenige Arbeitskräfte den konventionellen hierarchischen Strukturen oder lehnen sie ab, weil sie nicht mit ihren Werten übereinstimmen. Diese Strukturen folgen einem Pyramidenmodell, bei dem die Macht an der Spitze konzentriert ist und stufenweise absteigt.

Stattdessen fühlen sich viele in kooperativen und horizontalen Umgebungen wohl, in denen die Entscheidungsfindung umfassender und flexibler ist. Ferner entscheiden sich auch viele für die Selbstständigkeit, um mehr Autonomie und Freiheit zu haben, da sie nicht auf externe Anerkennung angewiesen sind, um beruflich voranzukommen.

5. Keine Teamfähigkeit oder Führungsqualitäten

Es gibt auch junge Menschen, die sich nicht in der Lage fühlen, die Verantwortung für ein Team zu übernehmen. Sie bevorzugen weniger anspruchsvolle Aufgaben, weniger Stress und weniger Probleme. In vielen Fällen handelt es sich um introvertierte Personen mit ausgeprägtem Einfühlungsvermögen und der Fähigkeit des aktiven Zuhörens. Sie sind engagiert, haben jedoch andere Ziele und Präferenzen.

“Quiet Ambition”: Eine Herausforderung für Unternehmen

Wie die Untersuchungen von Visier zeigen, gehört es zu den Wünschen vieler Menschen, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, gesund zu bleiben und zu reisen. Es ist unbestreitbar, dass das geringere Interesse an Führungspositionen eine große Herausforderung für die Wirtschaft darstellt. Dies könnte zu einem Mangel an Kandidaten führen, die bereit sind, Autoritätsfunktionen zu übernehmen, die für die Entscheidungsfindung und die strategische Ausrichtung des Unternehmens von zentraler Bedeutung sind.

Anreize zur Mitarbeitermotivation und -bindung sind deshalb immer wichtiger, um Talente zu binden und deren Aufstieg innerhalb des Unternehmens zu fördern. Einige Möglichkeiten sind:

  • Flexible Arbeitsmöglichkeiten
  • Überprüfung der finanziellen Vergütung
  • Wettbewerbsfähiges Sozialleistungsprogramm
  • Kultur der Zusammenarbeit und des Wachstums
  • Möglichkeiten zur Schulung und Unterstützung von Führungsqualitäten

Es geht darum, die Bedürfnisse und Wünsche der Beschäftigten zu verstehen und darauf einzugehen, um die Leistungen des Unternehmens entsprechend anzupassen.

Inneres Wachstum ist der Schlüssel

Viel zu lange wurde die Vorstellung vertreten, dass Erfolg mit der Anhäufung von Macht und Prestige verbunden ist. Dieser klassische Ansatz kann jedoch wichtige Elemente des Wohlbefindens und der persönlichen Erfüllung übersehen, wie z. B. Authentizität und Ausgeglichenheit.

Wahres Wachstum liegt darin, zu wissen, wer wir sind, was uns glücklich macht und wie wir in der Welt etwas bewirken können. Das bedeutet, dass Fortschritt zwar manchmal bedeutet, die Spitze der Unternehmensleiter zu erreichen, dies jedoch nicht der einzige Weg zum Erfolg ist.

Diese Perspektive stellt Unternehmen nicht nur vor Herausforderungen, sondern auch die Chance, Arbeitsbedingungen und die Organisationskultur neu zu definieren. “Quiet Ambition” impliziert, sich an eine neue Realität anzupassen und flexiblere Ansätze zu verfolgen, die eine Work-Life-Balance möglich machen.


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