Ein aufgeblasenes Selbstbewusstsein: Was versuchst du zu verbergen?

Ein aufgeblasenes Selbstbewusstsein: Was versuchst du zu verbergen?

Letzte Aktualisierung: 11. April 2017

Vor einigen Tagen stand ich im Supermarkt in der Schlange an der Kasse und der Kunde, der direkt vor mir stand, fing plötzlich ohne Vorwarnung und ohne wirklichen Anlass an, der Kassiererin sehr viel über sich zu erzählen: Über seinen Erfolg, seine Tugenden, wie perfekt er ist: „Ich habe meinen Abschluss mit summa cum laude gemacht, meine Tochter arbeitet gerade an ihrem Doktor, im Moment bin ich der Leiter eines großen Unternehmens…“

Die arme Kassiererin sah ihn an und nickte. Was hätte sie auch anderes tun sollen? Aber der Mann hörte nicht auf, von sich zu prahlen. Er redete in einer Art und Weise über sich, als erhoffte er sich davon irgendeine Form der Anerkennung ihrerseits.

Ich fand das sehr bemerkenswert und dachte: „Warum hat ein Mensch ein so starkes Bedürfnis nach Anerkennung – selbst von jemandem, den er noch nicht einmal kennt?“  Ich bezweifle gar nicht, dass dieser Mann all diese Dinge in seinem Leben hat und dass er ein großartiger Mensch ist, aber woher kam dieses starke Bedürfnis, dies auch die Menschen in seinem Umfeld spüren zu lassen?

„Stolz bedeutet nicht Größe. Es bedeutet, einen geschwollenen Kopf zu haben. Was schwillt, erscheint uns groß, jedoch ist es in Wirklichkeit nichts als eine Krankheit.“

Augustinus

Man könnte meinen, dieser Mann hätte ein gutes, gesundes Selbstbewusstsein, denn das ist ja genau das, was wir in ihm sehen sollen. In Wahrheit deutet sein Verhalten allerdings genau auf das Gegenteil hin.

Menschen mit einem guten Selbstbewusstsein fühlen sich sicher und diese Sicherheit kommt aus ihrem Inneren. Sie hängt nicht von ihren Umständen, von dem, was sie erreicht haben, von ihrem Erfolg oder ihrer körperlichen Erscheinung ab. Es ist zwar richtig, dass diese Dinge einen gewissen Einfluss haben, aber sie bestimmen nicht primär unser Selbstwertgefühl.

Deswegen signalisiert jemand, der ständig das Lob und die Anerkennung anderer sucht, dass es ihm genau an diesem Selbstbewusstsein fehlt. Meistens gibt es in diesen Menschen etwas, womit sie selbst nicht zufrieden sind und was sie kompensieren möchten. Deswegen erzählen sie jedermann alles Mögliche über sich und wie toll sie sind. Auf diese Weise fühlen sie sich zumindest für eine kurze Weile sicher… Die Angst vor einer Zurückweisung besteht jedoch nach wie vor!

Das Problem ist: Es mag zwar einfach sein, anderen Menschen etwas vorzuspielen und sie glauben zu lassen, dass man jemand Bestimmtes sei, viel schwerer ist es allerdings, sich selbst zu betrügen.

Ein aufgeblasenes Selbstbewusstsein hat seine Wurzeln in der Kindheit. Ein Kind hat von seinem Umfeld nicht genug Lob, Bewunderung oder Liebe bekommen und empfindet deshalb, nichts wert zu sein. Daher kommt dann das geringe Selbstwertgefühl.

Wenn aus dem Kind dann ein Erwachsener wird, hat es die Möglichkeit, zwischen zwei Wegen zu wählen. Entweder sucht es nach Liebe und Anerkennung bei den Menschen, die es umgeben, indem es unterwürfig versucht, den Anfragen anderer nachzukommen und so abhängig wird, ohne zu wissen, wie es Nein sagen kann. Dann gibt es aufgrund seiner Angst vor Zurückweisung jegliches Durchsetzungsvermögen auf. Oder es übertreibt mit der eigenen Selbstbeschreibung, versucht so, sein Selbstbewusstsein zu erhöhen und wird eitel und narzisstisch. Auf diese Weise versucht es, sich davor zu schützen, dass andere ihm wehtun können, indem sie sagen, dass es etwas falsch gemacht oder gar versagt hat.

Tief im Inneren empfinden diese Menschen eine große Angst vor Ablehnung und Versagen und die Furcht, nicht von jedem gelobt und anerkannt zu werden. Die Haltung, die sie an den Tag legen, ist also nur Tarnung.

Da solche Menschen nicht in der Lage sind, eigene Fehler zu erkennen, sind sie auch ebenso wenig in der Lage, zu erkennen, dass sie ein Problem mit ihrem Selbstwertgefühl haben. Das Resultat daraus ist: Solchen Menschen zu helfen ist eine komplizierte Angelegenheit, denn der erste Schritt in Richtung Veränderung ist, anzuerkennen, dass überhaupt ein Problem existiert.

Das Problem zieht sich dann über Jahre so hin. Denn mit dieser Tarnung setzen sich die Betroffenen niemals den negativen Meinungen anderer aus oder erlauben es nicht, dass eigene Fehler aufgezeigt werden oder dass einem mal nicht ausdrücklich Anerkennung entgegengebracht wird. Sollte jemand aus dem Umfeld dieses Menschen dann doch einen Vorstoß in diese Richtung wagen, würden sie eine bedrohende oder aggressive Haltung einnehmen, die sie wie ein Schutzwall umgibt. So versuchen sie, ihr Selbstwertgefühl zumindest für den Moment aufrechtzuerhalten – tief in ihrem Inneren vergehen sie allerdings vor Schmerz. Es ist offensichtlich, dass eine Beziehung zu solchen Menschen sehr vergiftet ist. Andere Menschen werden versuchen, auf Abstand zu gehen, was wiederum das eh schon geringe Selbstwertgefühl des Betroffenen bestätigt.

So sieht leider die Realität aus, ob wir sie mögen oder nicht. Es wird immer Menschen geben, die uns ablehnen, die uns nicht mögen und die uns nicht für attraktiv halten. Je schneller wir diese Realität akzeptieren, desto schneller werden wir auch begreifen, dass Selbstliebe bei uns selbst beginnt und nicht bei dem Urteil anderer, worauf wir ja sowieso keinen Einfluss haben.

Es ist wichtig, anzuerkennen, dass du ein menschliches Wesen bist und dass du das Recht hast, Fehler zu machen und zu versagen. Es ist in Ordnung, um Hilfe zu bitten, wenn man sie braucht. Kein Mensch auf dieser Welt beherrscht alles in Perfektion. Du solltest akzeptieren, dass niemandem die Allwissenheit in die Wiege gelegt wurde und dass wir alle lernen und üben müssen.

Du bist auch nicht die Nummer 1. Es wird immer jemanden geben, der dich übertrifft. Wenn du dich verbessern willst, dann arbeite daran und kämpfe auf gesunde Art und Weise für deine Ziele. Verzichte darauf, dich mit anderen zu vergleichen oder andere schlecht zu machen. Du bist einzigartig, unersetzlich und wertvoll – einfach, weil du die Person bist, die du nun einmal bist. Beginne, dich selbst mehr zu leben und freier und unabhängiger zu werden.

Du musst dir nichts selbst beweisen und du bist auch nicht das Zentrum des Universums. Jeder Mensch hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Sei einfach du selbst. Liebe und respektiere dich selbst. Wenn du dich selbst liebst, wirst du demütig und sicher. Dann werden auch andere beginnen, dich zu bewundern und dich zu lieben.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.